Wasservogels Feuerwehr

Hamburgs Jagdreviermeister Olaf Nieß, besser bekannt als „Schwanenvater“, kümmert sich nicht nur um die Alsterschwäne  ■ Von Michaela Soyer

Es ist laut vor der Ein-Mann Dienststelle von Olaf Nieß. Geschnatter in den unterschiedlichs-ten Tonarten liegt in der Luft, Gänse, Enten und Schwäne laufen in dem kleinen Gehege aufgeregt durcheinander, zischeln sich an, drängeln sich weg. Drinnen ist es stickig-warm und nur ein leises Piepsen ist zu hören. Im Raum rechts vor Nieß' Büro werden Schwanen-, Enten-, und Gänseeier ausgebrütet. Unter den Brutkästen wuseln Entenküken, die mit ihren winzigen Flügeln schlagen, als hätten sie genug davon, in einem Glaskasten von rotem Licht angestrahlt zu werden. „Hier bringen wir die Küken unter, die ihre Familie verloren haben“, erklärt Nieß und hebt vorsichtig ein flaumiges Bündel hoch.

Sein Büro liegt am Mühlenteich, einem Nebenarm der Alster. Dort ist auch das Winterquartier der Als-terschwäne, um die Nieß sich während der kalten Jahreszeit kümmert. Doch der „Schwanenvater“ sorgt nicht nur für die Überwinterung der Staatsschwäne Hamburgs.

An der Anlegestelle liegt das 25 Jahre alte, blaugestrichene Boot, auf dem zwei weiße Schwäne aufgemalt sind. An manchen Tagen ist er sechs Stunden auf dem Wasser, kontrolliert Schwanennester oder sammelt hilflose Tiere ein. Außerdem hat der Jagdreviermeister das ganze Jahr über alle Hände voll damit zu tun, verirrte Entenfamilien aus Büros oder Hinterhöfen zu evakuieren. „Es gibt kein großes Bürogebäude in Hamburg, in dem wir noch nicht waren.“ Seit 15 Jahren arbeitet der 34-Jährige mit Schwänen, Enten, Gänsen und allen anderen Tieren, die seine Hilfe brauchen. Vor ihm war sein Vater Harald 46 Jahre lang der Schwanenvater.

Olaf Nieß' Arbeit ist ähnlich organisiert wie die der Polizei oder Feuerwehr. Er wird gerufen, wenn sich ein Reh auf eine Kreuzung verirrt hat oder wenn Schwäne gegen Brücken fliegen. „Die Tiere orientieren sich nach unten und sehen nicht, wenn ein Hindernis vor ihnen auftaucht“, sagt Nieß.

Gegen acht Uhr klingelt das erste Mal sein Handy. „Jetzt geht's langsam los“, seufzt er, geht zum Steg runter und macht sein Boot los. Vor dem Wintergehege der Alsterschwäne sitzt ein Schwan, dem ein halber Flügel fehlt. Die Amputation ist kaum zu sehen. „Auf den wurde mit einem Baseballschläger eingeschlagen“, erzählt Nieß. „Sein Bruder ist daran gestorben.“

Mit solchen Tierquälereien wird Nieß durchschnittlich zwei bis drei Mal im Monat konfrontiert. Er findet Schwäne, in denen Dartpfeile stecken, Tiere, die mit Getränkekisten beworfen oder mit Luftgewehren beschossen wurden. Nieß glaubt, dass die Leute Frustration abbauen. „Irgendeiner soll es spüren.“ Mittlerweile habe er gelernt, damit umzugehen. Der Jagdreviermeister steuert sein blaues Boot in Richtung Isebek Kanal. Es dröhnt und wackelt. Immer wieder kontrolliert Nieß sein Handy, damit er auch ja keinen Anruf überhört. An der Hayns-Parkbrücke drosselt er die Fahrt. „Dort oben stehen oft die Angler, in deren Schnüren sich die Tiere verheddern.“

Oder, noch schlimmer, das im Wasser dümpelnde Schwimmbrot verschlucken. Der Angler versucht sein Geschirr zu retten, zieht und reißt dadurch dem Schwan die Speiseröhre auf. „Wenn die Tiere sich befreien konnten und weiter fressen, finden wir sie zwei Tage später mit einem vom Eiter aufgeblähten Hals.“ Dann bleibe nur noch der Gnadentod. „Unfälle“, sagt Nieß, „können passieren. Aber es macht mich wütend, wenn die Angel gezielt zwischen den Tieren ausgeworfen wird.“

Heute ist noch niemand auf der Brücke zu sehen. Nieß hält bei einem Anleger im Isebek Kanal und nimmt einen Karton mit mutterlosen Entlein entgegen. „Es ist die Ausnahme, das die Tiere schon gefangen sind, normalerweise muss ich sie erst einsammeln“, erklärt er. Am Ufer der Außenalster stehen Schilfbepflanzungen, die der Schwanenvater angelegt hat. Renaturierung gehört auch in seinen Arbeitsbereich. Ins Wasser gefallene Bäume werden nicht weggeräumt, sondern bieten Nistplätze.

Neben Olaf Nieß steht der Karton mit den Entenküken. Sie versuchen vergeblich, aus dem Karton zu hüpfen und gegen den Lärm des Bootsmotors anzupiepsen. Des Schwanenvaters Statement klingt überzeugend: „Ich habe wirklich einen schönen Beruf.“