Geisterbahnfahrt für Dialektiker

■ Mao-Mütze auf Schweinsfratze und andere Mutationen: Die Städtische Galerie zeigt in einer aufregenden Ausstellung Arbeiten von jungen Künstlern aus China und stellt hier damit erstmals den „zynischen Realismus“ vor

Li Dapeng beherrscht noch die Kunst des dialektischen Denkens. Der 1963 geborene chinesische Künstler malt Schweinsfratzen mit Mao-Mütze. Und einen siamesischen Zwilling, in dem ein Kommunist und ein Kapitalist auf den selben zwei Beinen stehen, malt er auch. Unsereins Schmalspurdenker sieht darin eine bissige, satirische und sogar zynische Sicht auf die Dinge in China. Doch was macht Li Dapeng? Er sagt: „Die Schweinsmaske ist eine Art Gott oder auch mein Alter ego.“ Und er ergänzt, dass es mehrere Sichtweisen gäbe, aber im Westen oft nur eine Gültigkeit zugelassen werde.

Der Maler mit dem kurzgeschorenen Haar und dem dialektischen Verstand lebt in Song Zhuang. Das ist ein Dorf außerhalb Pekings. Dort haben sich Künstler wie er angesiedelt, denen das Leben in der Hauptstadt zu teuer geworden ist. Song Zhuang ist zugleich auch der Titel einer für Bremer Verhältnisse spektakulären Ausstellung, die jetzt in der Städtischen Galerie im Buntentor zu sehen ist. Neben Li Dapeng stellen mit Yang Shaobin, Yue Minjun und Fang Lijun noch drei weitere Künstler erstmals in Bremen aus, die international als junge Stars der chinesischen Malerei gehandelt werden.

Im düsteren Eingangsraum stimmen Yue Minjuns zwei Meter große Polyesterfiguren auf einen Ausstellungsrundgang ein, der Ähnlichkeit mit einer Geisterbahnfahrt hat. Breit grinsende Klone wirken wie eine Reminiszenz auf öffentliche Sportveranstaltungen und zugleich auf die Terracotta-Armee, die man in einem alten Kaisergrab gefunden hat. Die Begriffe „Politische Pop Art“ oder „Zynischer Realismus“ hat ein chinesischer Kunstkritiker für diese Art der Bildhauerei und Malerei geprägt. Wer bei der Figürlichkeit dieser Kunst gelangweilt meint, dass dieses Kapitel im Westen längst abgeschlossen sei, ist blind für die Kraft und Frische dieser Werke.

Buddha-ähnliche Fratzen und Riesentorsi, aus deren Bäuchen andere Köpfe wuchern, bevölkern die Ausstellungsräume. Auf Bildern an der Wand verbeißen sich Figuren blutspritzend ineinander und wirken dabei doch am Vertrautesten. Yang Shaobins kannibalistische Menschenmonster, die für das Ausstellungsplakat benutzt wurden, sind wie eine Reinkarnation oder Weiterentwicklung von Francis Bacons Monstren und Mutationen. Lithografien von Figuren, die in beinahe abstrakten Ozeanen gegen das Untergehen kämpfen, gesellen sich hinzu. In der Zusammenstellung wird ein aufregendes Kaleidoskop auf das aktuelle China (oder ein Kaleidoskop aus dem aufregenden China) daraus.

In der Heimat der Künstler dürfen all diese Bilder und Skulpturen offiziell nicht gezeigt werden. „Möglich sind nur inoffizielle Ausstellungen“, betonen sie. Inoffiziell heißt: Man darf keine Werbung machen. Und: Die Ausstellungen sind meist nur wenige Tage zu sehen. Trotzdem scheint die Metapher Dissidenten-Kunst nicht auf diese MalerInnen zu passen. Zu vielschichtig sind die Bildmotive, zu – dialektisch ist auch die aus ihnen lesbare Kritik.

Dass die Ausstellung jetzt in Bremen zu sehen ist, kann als kleine Sensation gelten. Denn drei der vier Künstler wurden während der Kunstbiennale 1999 in Venedig gezeigt und erregten dort Aufsehen. Die Schau ist der Beitrag der Städtischen Galerie und des Künstlerinnenverbandes Gedok zu den Bremer Asienwochen und wurde von der Bremen Marketing Gesellschaft gefördert. Die Beteiligung der Gedok mag verwundern, wenn vier männliche Künstler nach Bremen eingeladen sind. Doch „Song Zhuang“ ist die chinesische Antwort auf ein Austauschprogramm.

Die Gedok hatte zuvor Künstlerinnen nach China geschickt. Nach Angaben von Rose Pfister von der Städtischen Galerie ist es Zufall, dass vier Männer nach Bremen eingeladen wurden. „Chinesische Künstlerinnen verlassen das Tafelbild eher als ihre männlichen Kollegen.“ In sofern sind die vier chinesichen Gäste, die nur zum Teil auch Skulpturen herstellen, ein Quartett von Traditionalisten. Aber ein aufregendes. ck

„Song Zhuang – Junge Kunst aus China“ bis zum 10. Juni in der Städtischen Galerie, Buntentorsteinweg 112 (Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18, So 11-18 Uhr). Eröffnung am heutigen Samstag, 28. April, 19 Uhr. Die Künstler sind anwesend.