Talktheater im Zweiten

Heiter und prickelnd soll sie sein – die neue Talkshow von Luzia Braun (Sa., 16.00 Uhr, ZDF)

von RALPH LENGLER

In Italien liegt die Bar an der Straße. Sie nimmt jeden auf, egal welcher gesellschaftlichen oder politischen Couleur er angehört. Für die Dauer eines Cappuccinos oder Drinks sind alle gleich. Der Platz am Tresen ist die Eintrittskarte, um über Gott und die Welt zu philosophieren, die Vorabendsendung zu besprechen oder schlicht über Politiker zu lästern. In jedem Italiener, ob Mechaniker oder Ministerpräsident, steckt ein Schauspieler und ein kleiner Philosoph. Wer jetzt denkt, dass dies nicht auch auf uns zutreffen könnte, hat Recht und irrt zugleich. Wir sind den Italienern gar nicht so unähnlich, nur dass wir eher dazu neigen, solcherart Gespräche im familiäreren Rahmen wie einer WG-Küche zu führen als in einer Bar. Klar dass Letztere weniger Atmosphäre versprüht als eine südländische Bar mit einem Keeper, der einem Film noir entstiegen sein könnte. Wer kennt ihn nicht, den klassischen Barmann, der, nie um einen Spruch verlegen, zwischen zwei Drinks für jeden ein offenes Ohr hat?

In unserer „virtuellen“ Bar „Dolce Vita“ heißt er Agostino. In seiner Nähe spürt man instinktiv, dass er vielem schon von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Er ist nicht dein Psychiater, aber derjenige, der weiß, wie du dich fühlst. Ein guter Drink, ein flotter Spruch, und dein Leben ist nur noch halb so schlimm oder doppelt so schön. Auch Luzia Braun, die Gastgeberin der Talkshow „Dolce Vita“ hat nicht nur die Schokoladenseiten des Lebens studiert.

Ihr Augenmerk galt vielmehr den dunklen, verdrängten Teilen unserer Gesellschaft. Als Dokumentarfilmerin berichtete sie über Mafia und Korruption, arbeitete im Gefängnis. Dadurch lernte sie Leute kennen, die etwas zu erzählen haben. Weniger Erfolgsstorys, zu denen man aufschauen müsste, dafür Erlebnisse an deren Klippen das Leben brandete.

Die Lebensläufe der meisten großen Persönlichkeiten weisen Brüche auf. Das Entscheidende ist jedoch, ob sie einen verzweifeln lassen oder man gestärkt aus dem Scherbenhaufen herausgeht. Und dies ist auch das Thema der Pilotsendung: „Jetzt reicht’s – Wenn man doch noch mal anfängt“. Hillu Schröder, einer der vier Gäste, ist wohl das beste Beispiel dafür.

Weitere Gäste sind Peter Schmidt-Vogel, einer, der durch den berühmten Berliner Fluchttunnel aus der DDR floh, um danach seine noch junge Frau an einen der Tunnelbauer zu verlieren. Oder Andreas Niedrig, welcher sich vom Junkie zum berühmten Ironman-Triathlet wandelte. Themen, die in weiteren Sendungen behandelt werden, sind: „Was brauche ich zum Glücklichsein“ (5. Mai), Traumjobs, Angst vorm Sonntag.

Bezeichnend für das Konzept – heimeliges Talktheater – ist der Sendeplatz, den das ZDF sich ausgeguckt hat: „Dolce Vita“ läuft unmittelbar nach Ralph Morgensterns „Kaffeklatsch“, in dem ältere Damen mit der netten Plaudertasche über dieses oder jenes harmlose Thema bramarbasieren dürfen. Wo „Kaffeeklatsch“ aufhört – beim echten Gespräch nämlich –, dort sollen nun die liebe Luzia und der nette Agostino das eingelullte, etwas gesetztere Publikum abholen.

Die Sendung beginnt mit einer Kranfahrt über Leute, die am Kickerkasten spielen, über Gäste, die auf Pseudokaffeetischchen sitzen, bis sie an der Bar vor Agostino stehenbleibt. Das ZDF bedient mit billigen Italienklischees gekonnt die Bedürfnisse unserer Toskanafraktion.

Dass es im wirklichen Italien genauso wenig ein „Dolce Vita“ gibt, wie alle Deutschen in Lederhosen rumlaufen, ist dabei nebensächlich. Diese klischierte Heiterkeit scheint notwendig zu sein, um bei der Erörterung tiefschürfenderer Themen nicht in typisch deutschen Schwermut zu verfallen. Wichtig ist Luzia Braun, dabei glaubwürdig zu bleiben und die Gäste zu Diskussionen zu verführen, anstatt sie wie Perlen an einer Kette abzufertigen. Dass sie als Frischling diesem Anspruch nicht ganz gerecht wird, kann man ihr nicht wirklich verübeln: Auch ein Hans Meiser hat am Anfang nur kleine Brötchen gebacken.