„Wir brauchen einen Mentalitätswechsel“

Macht Bürgermeister Diepgen weiter wie gehabt, gibt SPD-Fraktionschef Wowereit der großen Koalition keine Zukunft mehr. Für diesen Fall entwirft er im Gespräch mit dem PDS-Kollegen Wolf ein rot-rotes Reformprogramm: „Bittere Entscheidungen“, aber auch eine Neubestimmung der Hauptstadtrolle

Interview ANDREAS SPANNBAUER
und RALPH BOLLMANN

taz: Herr Wowereit, Ihr Parteifreund Walter Momper hat unlängst erklärt, der Weg für eine Koalition mit der PDS sei frei. Teilen Sie diese Ansicht?

Klaus Wowereit: Die PDS-Spitze hat mit ihrer Erklärung zur Zwangsvereinigung ein Signal ausgesandt, das künftige Diskussionen unbeschwerter macht. Mehr ist es noch nicht. Es sind noch nicht alle Bedingungen erfüllt, damit man mit der PDS umgehen kann wie mit jeder anderen Partei.

Was fehlt denn noch?

Wowereit: Beim Thema Zwangsvereinigung geht es nur um das Verhältnis zwischen den beiden Parteien. Die PDS muss sich aber auch von den Unrechtstaten der DDR distanzieren. Davon waren viele tausende von Bürgerinnen und Bürgern direkt betroffen.

Wird die PDS das tun?

Harald Wolf: Wir bereiten für August eine Konferenz zum 40. Jahrestag des Mauerbaus vor. Dort werden sicher klare und deutliche Worte gesprochen. Im Übrigen stand die Distanzierung vom Unrecht in der DDR am Beginn der PDS-Gründung auf dem Sonderparteitag 1989. Damit ist das Thema nicht erledigt – aber es ist nicht so, dass die Erklärung zur Zwangsvereinigung der erste Schritt gewesen wäre.

Herr Wowereit, Sie hatten noch Anfang vorigen Jahres gesagt, die PDS könne „innerhalb dieser Legislaturperiode, aber auch darüber hinaus“ kein Bündnispartner sein. Wenige Monate später hatten Sie Ihre Meinung geändert. Was hat den Sinneswandel bewirkt?

Wowereit: Wir haben jetzt das Jahr 2001. So lange Zeit nach der Wiedervereinigung kann und sollte man anders über die PDS diskutieren, als das noch in den letzten Jahren der Fall war.Die Voraussetzung ist allerdings, dass die PDS ihren Richtungsstreit entscheidet: Hat der Rücktritt von Gregor Gysi und Lothar Bisky den reformerischen Kräften auch neue Impulse gegeben? Oder gibt der Flügel um Sahra Wagenknecht den Ton an? Das muss die PDS selbst klären. Erst dann wird die SPD die Frage beantworten, ob eine Kooperation im Jahr 2004 möglich ist.

Ist denn innerhalb der PDS eine Koalition mit der SPD mehrheitsfähig?

Wolf: Für diese Legislaturperiode stellt sich die Frage nicht, schließlich hat die SPD im letzten Wahlkampf ein Bündnis mit der PDS ausgeschlossen. Gerade eine Regierung mit PDS-Beteiligung kann es sich nicht leisten, sich von Anfang an dem Vorwurf des Wortbruchs auszusetzen.

Und wenn es zu Neuwahlen kommt?

Wolf: Grundsätzlich ist im PDS-Landesverband eine große Mehrheit zu einer gemeinsamen Regierungsbildung bereit, in der Wählerschaft sowieso. Entscheiden wird sich das an der Frage, ob man sich in Koalitionsverhandlungen auf gemeinsame Projekte für die Stadt einigen kann.

Herr Wowereit, mit dem angekündigten Rücktritt von CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky schien das Thema Neuwahlen schon vom Tisch. Jetzt redet Ihr Landesvorsitzender Peter Strieder schon vom Nachtragshaushalt als nächster Sollbruchstelle der Koalition. Zündelt die SPD weiter?

Wowereit: Die Koalitionskrise ist beendet, wenn Herr Landowsky zurücktritt. Das hat die SPD einstimmig beschlossen. Was Herr Strieder sagt, ist doch selbstverständlich: Der Nachtragshaushalt ist eine schwierige Situation. Das hat aber mit der Koalitionskrise nur insofern zu tun, als wir die Folgen der Landowsky-Affäre bewältigen müssen. Ich gehe davon aus, dass die Koalition bis 2004 hält.

Sie glauben also nicht, dass es über die Haushaltskrise zum Bruch kommt?

Wowereit: Wenn ich das glauben würde, dann könnte ich die Arbeit einstellen. Die Notsituation, in der sich das Land befindet, ist ein objektiver Zustand – egal, welche Konstellation an der Regierung ist. Wir stellen uns der Aufgabe, diese Probleme zu lösen. Wir müssen dafür sorgen, dass trotz der Probleme wichtige Schwerpunkte berücksichtigt werden, beispielsweise die Bildungspolitik.

Herr Wolf, was würde die PDS denn tun, wenn sie an die Regierung käme?

Wolf: Die schwierige Haushaltslage wird die Politik in der Stadt noch auf Jahre hinaus bestimmen. Deshalb müssen wir klare Prioritäten setzen, um den sozialen Ausgleich weiterhin zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang ist die Situation an den Schulen eine zentrale Frage. Deshalb finde ich es richtig, dass die SPD dieses Ressort zum Schwerpunktthema machen will. Dann muss man auf der anderen Seite auch sagen: Dieses oder jenes ist nicht mehr finanzierbar. Die nötigen Strukturveränderungen lassen sich nicht mehr bis 2004 hinausschieben.

Wo würde ein rot-roter Senat denn sparen?

Wowereit: Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. Bei Diepgen und Landowsky spielte Geld keine Rolle. Man hat sich die Stadt schöngeredet und so getan, als hätten wir eine prosperierende Wirtschaft, die alles finanzieren kann. Das ist nicht der Fall. Wir müssen endlich die Strukturreformen anpacken, die andere Kommunen längst hinter sich haben. Viele Dinge sind zu zaghaft oder zu spät begonnen worden. Wir stehen heute an einem Wendepunkt der Berliner Politik. Wir müssen Entscheidungen treffen, die auch bitter sein können. Der Nachtragshaushalt wird ans Eingemachte gehen.

Was heißt das konkret?

Wowereit: Wir wollen zuerst dort sparen, wo der Bürger nicht direkt betroffen ist. Zum Beispiel werden für die Verwaltung neue Gebäude angemietet, während alte leer stehen. Da kann man dreistellige Millionenbeträge sparen. Außerdem müssen wir eine schlanke Ministerialbürokratie schaffen.

Bedeutet das weiteren Personalabbau?

Wowereit: Der Stellenabbau muss konsequent fortgesetzt werden. Unsere eigenen Steuereinnahmen sind fast vollständig durch Personalkosten gebunden, die trotz der Stellenkürzungen immer noch bei 14 Milliarden Mark pro Jahr liegen. Das ist eine Milliarde zu viel.

Wolf: Bislang lief der Stellenabbau in der Berliner Verwaltung so, dass die Häuptlinge damit nur ihre eigenen Gehaltssteigerungen finanziert haben. Das hat nicht dazu geführt, dass die Verwaltung leistungsfähiger und kostengünstiger wurde. Man hat in erster Linie bei den Dienstleistungen für den Bürger gespart.

Erschöpft sich Ihr Reformprogramm im Stellenabbau?

Wolf: Natürlich nicht. Das Land muss seine Unternehmensbeteiligungen vernünftig managen, damit sie zusätzliches Geld in den Haushalt bringen – und nicht wie bei der Bankgesellschaft zur Geldvernichtung beitragen. Auch die Wohnungsbauförderung gehört auf den Prüfstand. Sie lief bislang auf die Subventierung der Immobilienwirtschaft hinaus. Oder die Universitätskliniken: Die Medizinerausbildung ist in Berlin zwar doppelt so teuer wie andernorts, aber nicht doppelt so gut. Außerdem könnte man prüfen, ob man nicht schon im Vorfeld einer möglichen Fusion mit Brandenburg gemeinsame Landeseinrichtungen schaffen kann.

Würden Sie, Herr Wolf, als Finanzsenator die Verantwortung für diese unpopulären Maßnahmen übernehmen?

Wolf: Was ich persönlich mache, ist eine andere Frage. Aber natürlich müssen wir für unsere Vorschläge die Verantwortung übernehmen. Die Akzeptanz für Einschnitte hängt davon ab, dass die Haushaltskonsolidierung nicht als Selbstzweck daherkommt. Es muss erkennbar sein, wofür die gewonnenen Handlungsspielräume genutzt werden.

Reicht ein solches Sparprogramm aus, um einen rot-roten Senat zu rechtfertigen? Müssen Sie nicht auch Visionen für Berlin formulieren?

Wowereit: Politik muss nicht immer Geld kosten. Dazu gehören Fragen, die das Klima in der Stadt berühren: Wollen wir eine weltoffene Stadt sein? Viele Fragen der Integration sind nicht mit Geld zu beantworten. Das gilt auch für den Bildungsbereich. Es kostet keine Mark zusätzlich, die Lehrpläne zu entrümpeln oder den Schulen und Hochschulen mehr Autonomie zu geben.

Wolf: Wir brauchen in dieser Stadt dringend einen Elitenwechsel. Wenn man sich die Verteilung der Führungspositionen anschaut, dann ist das Thema der Integration von Ost und West noch nicht erledigt. Der Wechsel von der geschlossenen Westberliner Gesellschaft hin zu dem, was CDU und SPD immer „Das neue Berlin“ nennen, muss erst noch vollzogen werden. An diese Aufgabe ist die große Koalition nicht ernsthaft herangegangen.

Wowereit: Die Verfehlungen von Landowsky wären in früheren Zeiten sicherlich als Kavaliersdelikt abgetan worden. Hier hat die SPD sicherlich einen wesentlichen Beitrag zum Durchbruch einer anderen politischen Kultur geleistet. An diesem Mentalitätswechsel wird sich zeigen, ob die große Koalition noch eine Zukunft hat. Es wird sich zeigen, ob sich die Linie von Finanzsenator Peter Kurth durchsetzen wird – oder ob Eberhard Diepgen in seiner altbewährten Art und Weise weitermacht. Das ist ein spannender Prozess innerhalb der CDU, den wir sicherlich konstruktiv begleiten werden.

Würde sich bei einem SPD-geführten Senat auch das Verhältnis zur Bundesregierung verbessern?

Wolf: Das ist nicht nur eine Frage der Farbenlehre. Was ansteht, ist die Definition von Berlin als Hauptstadt und die Entwicklung eines rationalen Verhältnisses zur Bundesregierung. In der Vergangenheit bestand die Hauptstadtrolle ja vor allem darin, den Bedeutungsverlust von Eberhard Diepgen verarbeiten zu müssen.

Würden Sie das Stadtschloss wieder aufbauen?

Wolf: Die Zukunft des Schlossplatzes ist ein wichtiger Punkt, um symbolisch und städtebaulich die Versöhnung zwischen Ost und West hinzubekommen. Ich halte nichts von der alten Schlachtordnung – Palast pur oder Schloss pur. Um diese Versöhnung zu symbolisieren, müssen Elemente von beidem berücksichtigt werden. Es muss ein öffentlicher Ort der Demokratie und Begegnung sein.

Wowereit: Wenn der Palast der Republik etwas Positives hatte, dann war es ein Zentrum für die Bevölkerung, das auch angenommen wurde. Wir brauchen also ein überzeugendes Konzept, wie man dieses Areal mit Leben füllt. Ich fände es ganz furchtbar, wenn man mit halbfertigen Konzepten etwas tun würde, was man hinterher bereut. Dann sollte man die Entscheidung lieber noch eine Weile ruhen lassen.

Gibt es denn überhaupt kein Thema, über das SPD und PDS streiten könnten?

Wolf: Über das Thema innere Sicherheit zum Beispiel würden wir mit einer Reihe von SPD-Innenpolitikern in Streit kommen.

Wowereit: Weil uns die PDS höchst wahrscheinlich zu konservativ wäre.

Wolf: Die Innenpolitiker der PDS sind ausgewiesene Bürgerrechtler. Da ist es bei der SPD nicht immer zum Besten bestellt. Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass die SPD deutlicher gegen die Demonstrationsverbote des Innensenators für den 1. Mai Stellung bezogen hätte.

Wowereit: Die SPD steht eindeutig zum grundgesetzlich geschützten Demonstrationsrecht. Das legitimiert aber nicht die Gewalbereitschaft. Ich hoffe, dass der Innensenator die Lage am 1. Mai richtig einschätzt. Ich habe allerdings Bedenken, ob seine Taktik nicht eher zu einer Verschärfung der Situation beiträgt.

Also sind Sie sich wieder einig. Bleibt nur eine Personalie offen: Wird die PDS Gregor Gysi ins Rennen schicken?

Wowereit: Gysi wäre sicherlich eine Bereicherung für die Berliner PDS.

Wolf: Eine Kandidatur von Gregor Gysi würde für alle politischen Kräfte dieser Stadt eine Herausforderung bedeuten. Sie würde einen Neuanfang symbolisieren, weil seine Wirkung über den Kreis der PDS-Wähler hinausgeht. Für 2001 hat Gysi eine Kandidatur ausgeschlossen. Danach gilt: Schauen wir mal.