„Kein Bonus für die Grünen“

„Unter harten ökonomischen Zwängen wird Atomenergie auch in Deutschland wieder ein Thema“

Interview MATTHIAS URBACH

taz: Herr Bode, welches Umweltproblem beschäftigt Sie persönlich am meisten?

Thilo Bode: Sie erwarten sicher, dass ich jetzt sage: BSE und MSK.

Und wenn das so wäre?

Ich teile den Optimismus nicht, dass BSE das Tschernobyl der Landwirtschaft ist. Die Aufregung ist bald wieder verklungen, und dann wird es verdammt schwer, etwas umzusetzen.

Vielleicht ärgern Sie sich nur, dass Greenpeace nicht auf das Thema gesetzt hat.

Ich glaube, wir haben das unterschätzt.

Was beschäftigt Sie nun wirklich?

Am meisten beschäftigt mich die Wachstumsfrage: Heute reicht es nicht mehr, das Dosenpfand einzuführen oder den Schadstoff xy zu verbieten – unsere Art zu wirtschaften muss sich ändern. Um es mal pathetisch zu sagen: Die gesellschaftliche Entwickung gefährdet unsere Lebensgrundlagen. Die Wirtschaft ist zum Selbstzweck verkommen. Darauf fixiert zu sein, ob es nun 2,8 oder 2,1 Prozent Wirtschaftswachstum gibt, ist doch absurd. Ein unbegrenztes Wachstum ist in unserer begrenzten Welt nicht möglich. Entscheidend ist: Welches Wirtschaftswachstum können und wollen wir uns noch leisten? Nur wird das nicht mehr debattiert – außer vielleicht auf einem taz-Kongress.

Viele hoffen, dass solche Fragen über die BSE-Krise wieder Aufmerksamkeit erhalten.

Man sollte sich keine Hoffnungen machen, dass Umweltpolitik dadurch wieder leichter wird.

Bringt der Verbraucherschutz nicht eine neue Dimension in die Umweltpolitik?

Der Verbraucher ist eine Schlüsselmacht. Greenpeace hat seinen ersten Boykott in Supermärkten bereits in den Achtzigern organisiert – gegen isländischen Walfang. Solche Strategien sind vielleicht populär geworden – neu sind sie nicht. Aber Vorsicht: Der Verbraucher ist kein Heiliger; man muss ihn auch vor sich selber schützen!

Vor gut einem Jahr haben Sie über die Grünen geschrieben: „Sie besetzen die falschen Ministerämter“, sind „uninspiriert“ und „ohne professionelles Management“. Inzwischen haben die Grünen eine neue Parteispitze und ein Verbraucherministerium. Ändert das ihre Meinung?

Im Verbraucherministerium kann man Politik nah am Menschen machen – eine große Chance für die Grünen. Die Lebensmittelproduktion – die ja bloß eine Nahrungsmittelproduktion ist – spiegelt alle Perversitäten der Industriegesellschaft wider.

Eine Wende zum Besseren?

Na ja. Das Landwirtschaftsministerium ist den Grünen in die Hände gefallen, weil die Kühe wahnsinnig wurden. Aber noch immer fehlt der Partei eine klare Botschaft: dass sie die Gesellschaft verändern wollen im Sinne ihrer ursprünglichen Werte.

Wie äußert sich das konkret?

Fischer könnte mit dem Außenministerium gut internationale Umweltpolitik betreiben – doch er nutzt die Chance nicht. Und der Umweltminister fällt kaum auf, wenn man vom Atomausstieg und vom Dosenpfand absieht. Von einem Umweltminister erwarte ich auch, dass er Umweltpolitik mit Herzblut vertritt. Leider kommt davon bei Trittin wenig rüber.

Hat wenigstens Künast die richtige Einstellung?

Man muss ihr in jedem Fall eine Chance lassen. Es ist brutal, unter welchem Leistungszwang sie steht.

Die Umweltverbände haben sich sehr auf die Grünen eingeschossen. Dabei ist es die SPD, die beim Umweltschutz bremst.

Die Umweltverbände wussten anfangs nicht, wie sie mit den Grünen in der Regierung umgehen sollten. Die Frage war: Wie kritisiert man grundsätzliche Verbündete? Man flüchtete sich in Detailkritik, stritt darüber, wie viel Pfennig das Benzin teurer, wie viel Jahre der Ausstieg schneller sein muss – und versäumte, sich grundsätzlich zu den Grünen zu positionieren. Ich denke auch: Man muss sie wie jede andere Partei behandeln.

Die Grünen sind aus der Umweltbewegung entstanden. In Gorleben drängte sich der Eindruck auf, man hasst sie wie ein missratenes Kind.

Ich glaube nicht, dass man die Grünen hasst. Es gibt eine große Enttäuschung, dass gewisse Sachen nicht einmal ausgesprochen werden, weil die Grünen zu sehr nach möglichen Wählern schielen. Im grünen Milieu gibt es so eine Haltung „Wir sind ja für das Gute“ – und deshalb sind wir was Besonderes. Aber die Grünen verdienen keinen Bonus.

Trittin würde wahrscheinlich sagen: Der Bode hat gut reden, er hat nie mit Schröder im Koalitionsausschuss gesessen.

Natürlich muss man in der Regierung Kompromisse eingehen. Man kann sich dabei aber auch dumm anstellen: Sowohl beim Atomausstieg wie bei der Ökosteuer haben die Grünen nicht professionell genug agiert.

Was ist so schlecht an der Ökosteuer?

Fatal ist, dass die jetzige Konstruktion die Gesamtidee diskreditiert. Sie hat wegen der vielen Ausnahmen kaum Lenkungsfunktion. Sie belastet die Haushalte mehr als die Industrie und kann auf Dauer eine soziale Schieflage erzeugen. Es war vor allem eine schlechte Idee, das Geld vom Finanzbedarf in der Rentenkasse abhängig zu machen.

Das soll den Faktor Arbeit entlasten.

Richtig. Und es pervertiert doch die Grundidee! Wir haben ja 1993 zusammen mit dem DIW die Debatte angestoßen. Unser Konzept war, eine Hälfte des Steuererlöses wird den Arbeitgebern erstattet und die andere Hälfte den privaten Haushalten – in Form eines Ökobonus. Im nächsten Jahr hat man schon 22 Milliarden Mark Aufkommen. Das wären 130 Mark pro Kopf, direkt ausgezahlt. Das wäre im Übrigen eine Werbung für die Ökosteuer.

Glauben Sie, dass es dann weniger Widerstand gäbe?

Die Steuer wird leider nur halbherzig verteidigt. Sicherlich versteht der einfache Bürger nicht sofort, was aufkommensneutral heißt. Dann muss man es eben immer wieder erklären, anstatt opportunistisch die Meinung zu ändern, wie Herr Kuhn das macht, und zu sagen: „Okay, wir finanzieren mit der Ökosteuer ein Biotop oder die Bahn.“ Das ist tödlich. Am Ende versickert die Ökosteuer irgendwo im Bundeshaushalt. Die Grünen müssen erst ein überzeugendes Konzept vorlegen, wie es 2003 weitergehen könnte.

Dass Umweltpolitik noch ganz anders funktionieren kann, erlebt man gerade in den USA.

Ich bin froh, dass sich Bush so klar äußert. Faktisch ändert das ja nichts: Der US-Kongress hätte das Kioto-Protokoll ohnehin nie ratifiziert. Der „American way of life“ steht nicht zur Disposition.

In den USA werden die Betriebsgenehmigungen veralteter AKWs um 20 Jahre verlängert. Glauben Sie an eine Renaissance der Atomkraft?

Ich glaube, dass erneuerbare Energie auf lange Sicht signifikant teurer sein wird als fossile Energie. Und wenn ich bei der Atomenergie die externen Kosten wie Risiko und ungelöste Entsorgung ausblende, was geschieht, dann ist sie vergleichsweise billig. Wenn die Brennstoffzelle in Haus und Auto kommt, braucht sie Wasserstoff. Den kann man mit Atomkraft viel billiger produzieren. Unter harten ökonomischen Zwängen wird das auch in Deutschland wieder ein Thema. Davon bin ich fest überzeugt.

Herr Bode, über 11 Jahre waren sie nun Chef von Greenpeace beziehungsweise Greenpeace International. Was haben Sie als Nächstes vor?

Ich will die Zeit benutzen, frei zu denken. Ich genieße es, das sagen zu können, was ich denke – und keine Organisation vertreten zu müssen.