Die sozialdemokratische Landpartie

Auf einer Klausurtagung in Schwerin versucht die Berliner SPD das Lächeln wiederzufinden. Die Genossen erklären sich noch einmal selbst, warum sie mit der PDS koalieren und ein Westberliner Uniklinikum schließen müssen

Am Sonntagmorgen besucht Harald Ringstorff seine Gäste, die aus der großen Hauptstadt ins puppenstubige Schwerin gekommen sind. Und manch einer der fast einhundert Berliner Sozialdemokraten mag beim Anblick des untersetzten Antirhetorikers und Ministerpräsidenten aus Mecklenburg-Vorpommern ein Gedanke gekommen sein: So uneitel, so bodenständig, so unirritierbar bis zur Bräsigkeit müssen Politiker sein, wenn sie ein armes Bundesland gemeinsam mit der PDS regieren.

Das tun die Genossen von der Küste seit vier Jahren in großer Ruhe, die aus der Hauptstadt erst seit zwei Wochen. Und von Ruhe kann dort keine Rede sein. Prinzipielle Kritik am Bündnis mit der PDS mischt sich mit unpopulären Sparbeschlüssen und Unwillen über Stil und Auftreten der Spitzenpolitiker. „Bei uns gab es letzten Donnerstag ein Problem“, begrüßt Fraktionschef Michael Müller die Parlamentarier, „acht Probleme, um es einmal deutlich zu sagen.“ Acht Stimmen aus der Regierungsmehrheit hatten im ersten Wahlgang gefehlt, um Peter Strieder, Landesparteichef und Architekt des rot-roten Bündnisses, zum Senator zu wählen. Wie viele von den vierzig Abgeordneten, die hier mit Strieder Kaffee trinken, haben ihn vor zwei Wochen hängen lassen? Gab es zwei, vier oder gar sechs Verräter in den eigenen Reihen? Und wer war es, fragen sich Journalisten und die Abgeordneten selbst. Nur Strieder ist schon wieder guter Dinge, joggt mit den Journalisten, trinkt Merlot mit den Journalisten, raucht eine Cohiba und erzählt Anekdoten. Nein, ein Ringstorff ist er nicht, der Strieder.

Die Sparphalanx wankt

Politik wird auch gemacht auf dieser sozialdemokratischen Landpartie. Natürlich interessiert niemanden die „Auswirkungen des EU-weiten Wettbewerbs am Beispiel des ÖPNV“ oder die „Wirtschaftliche Entwicklung in Osteuropa“ aus der Sicht des ungarischen Botschafters. Auch hier in Schwerin geht es um die Umwandlung des Universitätsklinikums Benjamin Franklin (UKBF) in ein gewöhnliches Krankenhaus. So steht es im rot-roten Koalitionsvertrag. So will es der Regierende Bürgermeister. Wowereit ist fest entschlossen an diesem Punkt nicht einzuknicken, um des Sparens und des Gesichtwahrens willen.

Aber die Sparphalanx wankt: Klaus Uwe Benneter, der für Steglitz-Zehlendorf in den Bundestag will, hat angefangen. In seinem Bezirk liegt die Uniklinik. Klaus Böger, Bildungssenator, ist auch aus Steglitz-Zehlendorf und meint, „die Entscheidung darf man nicht hochstilisieren“, also: Wir können noch zurück. An der Hotelbar werden die beiden als „Klaus und Klaus“ verspottet, die Umbenennung des UKBF in UKBB („Universitätsklinikum Benneter-Böger) erwogen. Als jedoch eine von der Fraktionsführung nur widerwillig zugelassene „UKBF-Infoveranstaltung“ in eine echte Diskussion auszuarten droht, wird der Ton unter der Hand rauer. „Die Jungs haben kein Rückgrat.“ Man kommt den Steglitzern ohne Rückgrat jedoch entgegen: In einem Fraktionsantrag werden „Alternativen“ zur Klinikumwandlung „in den Gesetzgebungsprozess mit einbezogen“.

Schlechte Nachrichten

Der wie immer fröhlich-gelassene Klaus Wowereit verbreitet im persönlichen Gespräch mit Parteifreunden keine Durchhalteparolen, sondern malt eine düstere Zukunft. Die Verhandlungen mit der mächtigen Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes? Wird knüppelhart. Der Doppelhaushalt 2002/2003, der Ostern stehen soll? Eine Kraftanstrengung. Dass der Koalitionsvertrag in Sachen Einsparungen nicht weit genug geht, sagt die frühere Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing jedem, der es hören will.

Außerdem drohen neue schlechte Nachrichten. Den Verkauf der Bankgesellschaft, der mindestens zwei Milliarden Euro zurück in die Landeskasse bringen sollte, wird in Wowereits Umfeld als so gut wie aussichtslos bezeichnet. Berlin könne froh sein, heißt es, „wenn jemand für einen Euro die Bank und ihre Risiken übernimmt“. Am Sonntag taucht unangekündigt der neue Vorstandsvorsitzende der Bankgesellschaft, Hans-Jörg Vetter, in Schwerin auf und referiert vor den Abgeordneten die Lage des Pleite-Instituts. Die machen lange Gesichter, aber keine Vorschläge.

Und Wowereit? Scherzt mit den mecklenburgischen Lokaljournalisten. Selbst nach Schwerin, Güstrow und Vorpommern ist die Mär vom tanzenden Bürgermeister gedrungen, vom schillernden Partyhopper und Regierenden Filou. Angesprochen auf die Kritik legt Wowereit die Stirn in scheinbar ernste Falten und berichtet, seine Senatoren hätten „strikte Anweisung“, am Kabinettstisch nur noch mit „saurer Miene“ zu sitzen. „Lächeln ist zur Zeit in Berlin nicht en vogue!“ Wer weiß, was die Umschlingung der PDS noch mit der SPD und Berlin macht. Sicher ist: Auch Rot-Rot wird Klaus Wowereit nicht in einen Ringstorff verwandeln. ROBIN ALEXANDER