Der Ort beeinflusst die Bedeutung

Für die Künstlerin Ayse Erkmen sind Raum, Zeit und Sprache Basis ihrer Arbeit. Andere Sprache – anderes Denken

taz: Im Zusammenhang mit Ihren Arbeiten benutzen Sie häufig den Begriff der Situation. Welche Rolle spielt dabei der Ort?

Ayse Erkmen: Er ist wichtig für mich, da dort das Kunstwerk positioniert ist. Wenn man das Kunstwerk an einem anderen Ort installiert, hat es eine andere Bedeutung. Es kommt dann zu einem anderen Dialog mit dem Raum. Die Geschichte des Ortes macht den Unterschied. Manchmal sind es auch die Leute, die an einem Ort arbeiten. Deswegen denke ich über den Ort nach, das Material im Raum, die Dinge, die den Raum bestimmen, und natürlich seine Geschichte, die Jahreszeiten, den Standort, das Land, wo es sich befindet.

Viele Ihrer Arbeiten sind im öffentlichen Stadtraum positioniert. Sie treffen dort auf ein besonderes Publikum, ein flüchtiges Publikum gewissermaßen, das der Passanten. Was für eine Art von Kommunikation versuchen Sie in Gang zu setzen?

Ich möchte nicht in erster Linie mit den Menschen kommunizieren, die vorbeigehen, sondern mit dem Raum selbst. Und wenn meine Arbeit mit einigen Leuten, die vorbeigehen, in Verbindung tritt, dann ist es okay. Manchmal installiere ich permanente Arbeiten an öffentlichen Plätzen, manchmal sind die Arbeiten aber auch nicht von Dauer. Und wenn ich etwas schaffe, das nicht von Dauer ist, dann ist es wichtig zu wissen, wie der Ort ist. Wo er sich befindet, wofür er benutzt wird, ob es ein Ort ist, an dem viele Menschen vorbeigehen oder nur wenige. Er schafft die Verbindung zur Öffentlichkeit, zu den Menschen. Was machen die Menschen an den Orten? Ist es ein Eingang? Gehen die Leute in den Raum hinein oder nur daran vorbei? Über diese Dinge denke ich viel nach – und dies ist die Basis meiner ganzen Arbeit.

Ihre Arbeit „Am Haus“ in Kreuzberg wird verschwinden, wenn das Haus renoviert wird. Wie stehen Sie dazu?

Ich glaube, dass jede Arbeit eine natürliche Lebensdauer hat. Wenn es zu lange bleibt, so denke ich, kann es langweilig werden. Es kann zu alt werden, geradezu verschlissen. Zuallererst war es eine Arbeit, die ich in Kreuzberg machen wollte. Wegen der Sprache. Für die, die es nicht verstehen, ist es eine rein visuelle Arbeit. Und für die Menschen, die türkisch sprechen, ist es etwas, das zu ihnen spricht.

Sie haben mal gesagt, eine Arbeit zu betrachten, sollte immer ein Anstoß sein, im Leben etwas zu ändern.

Ein Künstler macht an einem Ort eine Veränderung und geht dann weg. Das erinnert mich an das Märchen „Goldlocke und die drei Bären“. Die Rolle des Künstlers ist ähnlich wie die von Goldlocke. Sie kommt in das Haus der Bären, verändert etwas, zerbricht einen Stuhl, dies und jenes, und dann springt sie einfach aus dem Fenster und verschwindet im Wald. Diese Geschichte illustriert sehr gut, was ich meine. Als Künstlerin bricht man auch Dinge. Man kann sogar etwas im Leben anderer Menschen zerbrechen, auch im metaphorischen Sinne. Dann jedoch verlässt man einfach den Raum.

In welchem Sinne kann die Arbeit „Am Haus“ das Leben verändern?

Zum Beispiel denken die Menschen über die Sprache nach. Die türkischen Menschen denken über ihre eigene Sprache nach, da sie sie zwar sprechen, aber niemals darüber nachdenken. Menschen, die kein Türkisch können, können darüber nachdenken, dass andere Sprachen ein anderes Denken widerspiegeln.

Ich habe die Arbeit in Istanbul wiederholt. Dort ist es was ganz anderes. Die Menschen sprechen alle türkisch. Sie sprechen die Sprache, aber denken nicht darüber nach. Deshalb sind die Zeiten wichtig, die die Suffixe andeuten. Denn es ist die letzte Sache, die sie lernen. Das ist eine sehr gehobene Art zu sprechen.

INTERVIEW: KIRSTEN WINDERLICH ÜBERSETZUNG: SUSAN KAMEL