Angekommen im Niemandsland

Falko Götz verliert sein erstes Spiel als Löwentrainer mit 0:1 gegen den VfB Stuttgart und muss erkennen, dass er den verunsichernden Geist seines Vorgängers noch lange nicht vertrieben hat. Dennoch stellt er erste Fortschritte fest

MÜNCHEN taz ■ Er war noch nicht dran, und so hatte Falko Götz ein paar Augenblicke für sich. Dachte er. Während VfB-Coach Felix Magath bei der Pressekonferenz in ein paar routiniert dünnen Sätzen den mittlerweile schon sechsten Auswärtssieg seiner Mannschaft erklärte, schien der neue Löwen-Trainer für einige wenige Sekunden ganz weit weg zu sein. Das passiert ihm nicht oft: Nicht zu wissen, wo die Kamera steht. Nicht zu merken, dass ein paar Dutzend Journalisten in sein Gesicht starren, obwohl doch der Magath redet.

Aber dessen Einlassungen waren an diesem Abend ziemlich uninteressant. Spannender: Wie geht der Neue, ach so Erfolgverwöhnte, mit dem ersten Rückschlag um? Also: Sekunden nach dem Schlusspfiff steht Sat1-Mann Uli Köhler mit dem ersten Interview-Wunsch bei Falko Götz – und bekommt eine Abfuhr: „Ich brauch noch zwei Minuten.“ Später flutscht sie wieder, die Götz-Maschine: flüssige Statements vor der Kamera, wenn auch deutlich knapper und lächelärmer als in den ersten, noch unbefleckten Tagen bei Sechzig. Niederlagen tun halt weh, knappe erst recht, aber es ist ja kein schlechtes Zeichen, wenn man das jemandem auch anmerkt. In diesen wenigen einsamen Sekunden ging der Blick von Falko Götz ins Leere. Ein wenig trotzig, fast beleidigt schaute er drein, so als würde er sagen wollen: „Jetzt hab’ ich mich so reingehängt die ersten Tage, und schon war alles für die Katz.“

Seit Mittwoch ist Götz im Amt, und es ist erstaunlich, wie er das zuvor so teilnahmslose Löwen-Team aufgeweckt hat. Würden Punkte in der Bundesliga nicht nur nach Toren, sondern auch nach Leidenschaft, Einsatzbereitschaft etc. vergeben, wäre 1860 München beim 0:1 gegen Stuttgart nicht ohne Belohnung geblieben. Die Sechziger spielten zwar noch nicht wie die zeitweise filigranen Schwaben, rannten und grätschten aber wie lange nicht mehr – allein: ohne das so genannte Zählbare.

Götz hatte alles versucht, um die elendige Serie zu beenden – letzter Treffer im eigenen Stadion: 24. November, letzter Heimsieg: 2. November. Vier Mittelstürmer hatte er am Schluss auf dem Platz stehen: Agostino, Max, Lauth und Suker; hätte Schroth nicht mit einer Risswunde am Fuß auf der Tribüne gesessen, er hätte ihn auch noch irgendwie eingewechselt. Aber niemand wollte die Einwechslungen in Frage stellen, wie das bei Peter Pacult zuletzt schon fast Usus geworden war. Götz musste so handeln, hätte höchstens den Chinesen Shao (in der 65. Minute für den eifrigen, aber weitgehend wirkungslosen Weissenberger) früher ranlassen müssen. Nulleins verloren und doch fast alles richtig gemacht – da muss man erst mal überlegen, was man sagt nach dem ersten Spiel. Und so sprach Götz: „Die Mannschaft ist nicht zusammengefallen, sie hält jetzt dagegen, und das ist eine neue Qualität. Sie hat ein anderes Gesicht gezeigt in puncto Leidenschaft und Aggressivität. Es gab auch eine fußballerische Steigerung. Darauf können wir aufbauen.“

Wird also alles gut bei Sechzig. Es sei denn, es kommt doch noch der Abstieg dazwischen. Sieben Punkte sind es bis dahin, einer mehr als zum eigentlich angestrebten Uefa-Cup-Platz in der anderen Tabellenrichtung. Da will Götz natürlich hin: „Ich bin nicht bereit, die Saison herzuschenken, weil wir irgendwo im Niemandsland stehen.“ Er will „eine Grundordnung finden“ und hinter die „sehr vielen Negativerlebnisse zuletzt“ einen „großen Haken machen“. Überhaupt scheint der Pacult noch sehr tief im Löwen zu stecken: Auf dem Feld nahm der kollektive Bammel zunächst fast groteske Züge an, als vor allem die Abwehr ohne Not Fehlpässe und Querschläge serienmäßig produzierte. Vor den Kameras wiederholten sich später dann die Vokabeln: „Eine Verunsicherung ist da“ (Lauth), „die letzten Wochen stecken noch in den Köpfen“ (Cerny), „wir haben nicht gerade vor Selbstvertrauen gestrotzt“ (Götz) – alles indirekte Vorwürfe gegen den Vor-Götz Peter Pacult, der ansonsten geflissentlich nicht erwähnt wurde.

Was Götz anders macht als Pacult? Tja. Wiesinger und Agostino durften mal wieder von Anfang an, Borimirow durfte immer noch. Ansonsten? Kleinigkeiten. Beim ersten Training wollten die Profis zum Warmlaufen die gewohnte Richtung nehmen – und mussten prompt umdrehen: Andersrum, meine Herren! Folgte das Schauspiel mit dem ersten Geheimtraining in der Vereinsgeschichte des TSV 1860: Das scheiterte an der mangelnden Ortskenntnis des Sachsen Götz. Kiebitze und TV-Sender lugten halt von anderer, ungewohnter Stelle Richtung Trainingsplatz. Aber keine Sorge: Auch dazu wird Falko Götz etwas einfallen. THOMAS BECKER