Der Sicherheitsrat? Irrelevant.

Sie wollten keine Abstimmungsniederlage riskieren – also ziehen Briten und US-Amerikaner jetzt ohne neue UN-Resolution in den Krieg gegen den Irak

von BERND PICKERT

Eigentlich wollte UN-Chefinspektor Hans Blix gestern seinen Arbeitsplan für die Entwaffnung des Irak vorstellen: konkrete Ziele mit konkreten Zeitplänen, bis wann der Irak sie erfüllt haben müsste, einen realistischen Plan also, um eine etwaige Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen aus der Welt zu schaffen. Dem hätten sich die Kriegsgegner im Sicherheitsrat anschließen können, womöglich wäre daraus ein neuer Resolutionsentwurf entstanden, zu dem sich wiederum die USA und Großbritannien hätten verhalten müssen. Doch davon konnte nicht mehr die Rede sein: Schon zu Beginn der Sitzung des Weltsicherheitsrates hinter verschlossenen Türen trat der britische UN-Botschafter Jeremy Greenstock vor die Presse und erklärte, nachdem die britische Regierung nun wochenlang versucht habe, einen Konsens im Weltsicherheitsrat zu erreichen, und verschiedene Kompromissentwürfe eingebracht habe, werde man nun zusammen mit Spanien und den USA eigene Wege gehen. Schuld daran trage „ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates“, gemeint war Frankreich, das angekündigt habe, jede Entscheidung über ein Vorgehen zur Durchsetzung der Resolution 1441 mit einem Veto zu blockieren. Dieser Erklärung, von der Diplomatie nunmehr zum Krieg zu schreiten, schlossen sich daraufhin zunächst der spanische und schließlich der US-amerikanische UN-Botschafter an.

Kurz darauf sagte der französische UN-Botschafter de la Sablière, tatsächlich sei die Mehrheit des Sicherheitsrates nach wie vor der Meinung, es gebe keinen Grund, die Waffeninspektionen just in dem Moment abzubrechen, da sie erkennbare Ergebnisse bringen. Das allerdings war schon zuvor zur Makulatur geworden. Bereits in der Nacht auf Montag hatte die US-Regierung den UN-Waffeninspektoren und den Mitarbeitern der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) geraten, den Irak schnellstens zu verlassen. Der Abzug der Inspektoren hat mittlerweile begonnen. Vertreter der UN sagten, die Sicherheit des eigenen Personals habe oberste Priorität. Auch ausländische Botschaften zogen ihr Personal ab. Die deutsche und die chinesische Botschaft etwa schlossen gestern vollständig.

Zur besten US-Fernsehzeit, um 8 Uhr abends an der Ostküste, wollte sich US-Präsident George W. Bush gestern in einer Ansprache an die Nation wenden – die lang erwartete, lang vorbereitete Kriegserklärung. Da die US-Truppen vermutlich die 72-Stunden-Frist zur Ausreise der UN-Mitarbeiter bis zum Beginn der Bombenangriffe einhalten werden, wollte Bush diese Zeit nutzen, um dem irakischen Staatschef Saddam Hussein ein neues Ultimatum zu stellen. Um Abrüstung ging es dabei allerdings nicht mehr. Saddam Hussein, so Außenminister Colin Powell gestern vor der Presse, habe noch wenige Tage Zeit, das Land zu verlassen. Damit rechnet jedoch niemand. Im Irak gingen die Vorbereitungen zur Verteidigung Bagdads weiter, eine Anstrengung, an deren Erfolg kaum jemand glauben mag.

Bereits die Äußerungen der drei Kriegsbefürworter nach ihrem Gipfel auf den Azoren am Wochenende waren als ein klares Ultimatum an den Sicherheitsrat gemeint gewesen. Wenn Blair und Bush von einer „letzten Chance“ für die Diplomatie sprachen, dann war damit stets eine letzte Möglichkeit des Sicherheitsrates gemeint, sich doch noch der Meinung der USA und Großbritanniens anzuschließen. Das Vorgehen ist in der Geschichte des Sicherheitsrates einmalig. Es wird dessen Funktionsweise nachhaltig beeinflussen. Immer wieder hat die US-Regierung den Sicherheitsrat „irrelevant“ genannt, sollte er sich nicht zu einer Kriegsunterstützung durchringen können. In den US-Medien hat längst eine Diskussion über die Zukunft nicht nur des Irak, sondern auch der UNO begonnen.

Es ist sicher auch kein Zufall, dass sich die USA und Großbritannien ausgerechnet Frankreich als Sündenbock heraussuchen. Mit dem Verweis auf die französische Veto-Ankündigung, durch die „jede Abstimmung zweitrangig“ werden würde, wie es US-Botschafter John Negroponte formulierte, vermieden die Kriegsbefürworter das Eingeständnis, dass es für ihre Resolutionsentwürfe im Sicherheitsrat nicht einmal eine „moralische Mehrheit“ gab, die dann durch ein französisches Veto hätte ausgehebelt werden können. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien üben sich Politiker und Medien seit Wochen in harter Frankreich-Schelte.