Hello, my name is bitch

Am Reißbrett geplant und auf die Wiese gewürfelt: das „Kontrast“ – eine der großen Multiplex-Discotheken im Umland von Berlin. Wird dort vielleicht härter und ehrlicher gefeiert als in Mitte? Ein Report aus dem „größten Dance-Club Deutschlands“

von HENNING KOBER

Samstags ist es am schlimmsten. Dann tickt und kratzt es im Kopf noch stärker, gnadenloser als an den anderen Tagen. Irgendwas Kleines klopft da im Gehirn, macht hippelig und zappelig und man kann sogar Bauchweh davon bekommen. Weil … weil man ja weiß, dass da draußen, wo die Lichter leuchten, tausend und ein Kopf genauso ticken, klopfen, hüpfen. Sagen: Zieh dich an, kauf dir dein Lieblingsmedikament und geh spielen. Treffen im Club.

Es ist die Nacht, die im Sonntag endet. Ein schwarzer Golf IV fährt Richtung Westen. Energy spielt 50 Cent, In da Club. Sörns und Lutz’ Körper schütteln sich in den Sitzen. Die Bundesstraße 1 trägt immer noch die alten Betonplatten, und Sörn überlegt, dass die Stoßdämpfer nun vielleicht doch etwas zu stramm eingestellt sind. Lutz’ Backen schimmern rot. Dem 17-Jährigen ist es warm im Bauch, Glückslibellen tanzen ihm durch den Kopf. Sein Mund spricht ein großes Wort: „Danke.“ „Labber nicht so ein’ Scheiß“, antwortet sein älterer Bruder schroff. In beiden Köpfen zappelt die Furcht. „Hoffentlich blamiert mich der Kleine nicht.“ „Hoffentlich komm ich rein.“ Es ist das erste Mal, dass die beiden Brüder aus Erkner zusammen ausgehen. Das erste Mal, dass der 21-jährige Sörn seinen kleinen Bruder mitnimmt, wenn er wie jedes Wochenende ins „Kontrast“ fährt.

Ich fahre auch über die B1, andere Richtung, gleiches Ziel. Mit dabei ist Bernd, der Fotograf. Meine Laune ist schrecklich schlecht. Kiss FM spielt die Black Eyed Peas, Where is the love?, und die Nacht streckt sich wie ein endloses Flachdach. Wir parken vor einem großen, weißen Klotz, an dem grün „Kontrast“ leuchtet. Beat-Beat-Beat-Beat klopft es laut, mächtig, von drinnen vor die Tür, an der sich eine lange Schlange gebildet hat. Fünf Lichtschwerter kreisen über der Diskothek weit in den Himmel. So hell, dass man die Sterne nicht mehr sehen kann. Egal, hier leuchten die Sterne ja auch am Boden.

Das „Kontrast“ ist nach eigener Angabe „der größte Dance-Club Deutschlands“. 5.000 Quadratmeter Tanzfläche verteilen sich auf fünf verschiedenen Floors. Das reicht für bis zu 5.000 Menschen, die sich hier jede Nacht vergnügen. 12 Millionen Mark investierte Besitzer Frank Caliebe vor zwei Jahren in die Spaßfabrik, hochgezogen im Industriegebiet von Dahlwitz-Hoppegarten. Davor residierte die Discothek am Müggelsee, wo der Laden zuletzt vor allem bekannt war als gefährlicher Spielplatz der Venezuela-Connection, die dort mit harten Drogen handelte.

Heute Nacht legt DJ Tomcraft im „Kontrast“ auf. „Halt doch mal still“, zischt Vanessa, etwas Liebes in der Stimme. Und Sörn versucht seinen Oberschenkel ruhig zu halten. Darauf krümelt Vanessa gerade etwas Tabak in ein OCB-Blättchen. Hier draußen auf dem Parkplatz friert die erste kalte Nacht. Oder Sörn zittert, weil Vanessa, heute wieder sehr sehr schön, nah ist wie selten. Lutz, der kleine Bruder ist drin. Der Türsteher hat nicht nach dem Ausweis gefragt. Vielleicht weil Vanessa und ihre Freundin Maja ihm ein eindeutiges Lächeln zugeworfen haben. Vielleicht auch weil jeder Gast zehn Euro Eintritt bezahlt, egal wie alt.

„Hello, my name is bitch“, sagt das Mädchen vor mir. Schwarze Buchstaben schreiben es ihr auf das rote T-Shirt. Sie lächelt mich an. Ihre Gesicht ist stark geschminkt. Aus den 20.000-Watt-Boxen grollt Westbams „Right on“ von CD. Schwarzlicht lässt weiße T-Shirts und fluoreszierende Piercings an den Augenbrauen lila scheinen. Meine Augen fliegen durch einen riesigen Hallentempel, gebaut dem Tanz. Der Dancefloor ist tiefer gelegt, Bars an jeder Seite, die Lichtanlage an der Decke gewaltig. Außerdem ein Käfig, der hoch über den Tanzenden hängt und noch leer ist.

Die Besucher sind junge Männer und Frauen. Körper trainiert, Kleidung eng und meist einfarbig, Haare wenig. Viele Piercings, viele Tattoos. Die sind schwarz, fernöstliche Formen, wie aus der Bravo. Keine Ausländer, keine Skinheads, zumindest nicht offensichtlich. Sauber, rein, steril wirkt das. Die Bars sind gebaut aus Chrom, das Bier fließt schnell aus der modernen Zapfanlage. Mir ist schlecht. Ich gehe zur Toilette. Neben dem Parkplatz wichtigster Ort in einem fabelhaften Club. Aber hallo, Moment. Wir sind hier ja nicht in einem cleveren Club, hier ist die Disco. Großraumdiscothek. Helles Licht blendet in den Augen, der Gang ist lang, weiß gefliest und reinlich. Toilettenmann und Toilettenfrau stehen Spalier. Sieht aus wie an der Autobahn.

Auch hinten ist es brav. Ich bin offensichtlich der Einzige, der hastig in eine Kabine drängt. Es riecht nach chemischem Frühling. An der Edelstahlrinne ganz hinten halten sich zwei Jungen schüchtern gegenseitig an ihren Gliedern fest. Ein blonder Junge, höchstens 17, schaut irritiert auf die beiden. Er heißt Lutz und erzählt mir, dass er heute zum ersten Mal im „Kontrast“ ist. „Ziemlich cool“, findet er es hier. „Nicht so langweilig wie zu Hause.“ Im Casino war er auch schon mal. Während der Love Parade.

Draußen schwebt der Käfig jetzt von der Decke, dicht über der tanzenden Menge. Fast nackte Mädchen tanzen darin wild. DJ Tomcraft, Münchens Star-DJ, steht an den Turntabeln in der riesigen Chrom-Kanzel. Hundert bunte Laser rasen über die Köpfe. Immer wieder blitzt hell das Licht auf. Für zu lange Sekunden wird es Tag. Der Ekstase tut das keinen Abbruch. Ist das ein Indiz für Bedingungslosigkeit? Die Scheinwerferblöcke fahren von der Decke. Immer wieder langsam rauf und runter. Die goldenen Punkte auf den Stufen schaukeln. Schwimmt mein Bild?

Ich kämpfe mich durch die dicht stehenden Menschen. Alle weichen seltsam freundlich zur Seite. Hinunter in den Technokeller, in den Billardsaal mit zehn Turniertischen, rauf zum 80iger Floor, weiter in den Wintergarten, wo „Partyhits“ für „ausgelassene Stimmung“ sorgen, raus auf die Terrasse. Im „Kontrast“ das Synonym zum Garten für den lieben Club. Angenehm die Luft, liebe, gute, kalte Luft. Rocco fragt mich nach einem Blättchen. „Mitrauchen?“, bietet er an und klar. Der Mann sieht aus wie der kleine Bruder von Rainald Götz. Wie alt? „Gefühlt 42“, sagt der, der früher angeblich Barmann im „E-Werk“ war.

Jetzt arbeitet er als Detektiv in Mahlsdorf und findet das „Kontrast“ „unter dem Clubsociety-Aspekt sehr interessant“. Hmm … egal. Wir rauchen blaue Ringe in die schwarze Nacht und sprechen über wichtige Dinge. Warum ausgehen? Hier? Der ideale Club? Rocco lächelt. „Ein guter Club muss dir jede Nacht die Seele streicheln. Das ist ja überhaupt der Grund, warum man anfängt auszugehen. Weil du plötzlich so groß bist, dass du merkst: Die Welt ist kein Eden, sondern ein schnelles Kraftwerk. Deshalb gehst du los und suchst die bessere Welt in der Nacht.“

„Und dann landest du hier? Das ist doch keine bessere Welt.“ „Was willst du denn? Du suchst einen Ort, an dem dir schöne Wesen ins Gesicht tanzen, du tolle Drogen nehmen kannst und Freunde findest, die dir deine Tränen wegküssen, wenn du weinst. Abenteuer und Wärme. Wenn du mal einen Moment nicht in die Sterne schaust, siehst du es.“ Geradeaus, auf einer Bank, sitzen ein großer Junge mit knapp rasierten Haaren und ein schmales Mädchen eng zusammen. Ihr Bein liegt über seinem Schoß. Sanft küssen sie sich. Es sieht wunderschön aus. Glücklich. Meine Traurigkeit schmilzt. Ohne Neid.

Sörn sitzt in seiner Stammecke. Auf dem Ledersofa hinten rechts neben der Bar. Neben ihm Vanessa, ihre Freundin Maja, Björn, Jens, Marcus, Lutz, Christin und Sonja. Toll sehen meine Freunde heute wieder aus. Wie eine Familie. Vielleicht sollten wir alle untereinander heiraten, überlegt Sörn. Christin würde gerne mit Marcus nach Hause gehen. Der möchte lieber noch bleiben, weil Jens gerade drei Pillen gekauft hat. Björn fühlt Majas Hand. Sie zieht sie nicht weg. Und Sonja findet, dass DJ Tomcraft ein cooler Junge ist.

Lutz schaut Luftlöcher und merkt, dass keiner mit ihm spricht. Vielleicht weil er der Jüngste ist. Da sieht er den Jungen aus der Toilette wieder. „He na, wo warst du denn?“, fragt er. „Tomcraft legt schon ’ne Weile auf.“ Der Bass hämmert aus den Boxen. Da auf dem Sofa sitzt wieder der Kleine aus der Toilette. Sagt irgendwas, aber ich verstehe ihn nicht. Sein Gesicht scheint eigenartig verformt. Die Augen lassen sich überhaupt nicht fixieren, tanzen ständig Hu-la-la.

Ich drehe mich um. Suche Bernd, will gehen, fertig sein mit der Arbeit und woanders weitermachen. D e r Club ist hier nicht. Aber irgendwo, hoffentlich. Irgendwo muss es ihn ja geben, den verdammten Lebensretter-Club.