Erfolg macht selbst Werder sexy

Bremen fällt in dieser Saison vor allem durch seine Kaltschnäuzigkeit auf. Das führtzu einem ungefährdeten 5:3 gegen den VfL Wolfsburg – und zur Tabellenführung

BREMEN taz ■ Klaus Allofs hatte den Mund sehr voll genommen. Für seine Verhältnisse sogar übervoll. In seiner wöchentlichen Prä-Spiel-Kolumne, die in einem Bremer Anzeigenblättchen erscheint, hatte der sonst eher distinguierte Sportdirektor des SV Werder mal so richtig vom Leder gezogen. „Auch wenn wir uns manchmal noch ein bisschen mehr Beachtung wünschen“, formulierte Allofs nachgerade verwegen, „macht Erfolg eben sexy.“ Deswegen erfülle der Verein „im Moment alle Wünsche: Ob Premiere, DSF, Sportstudio, Sportblitz oder Sportclub – alle wollen Studiogäste vom SV Werder.“

Am Sonntagabend hätte dieser neue Bremer Sexappeal um ein Haar sogar Thomas Schaaf erfasst. Nach dem nie gefährdeten 5:3 seiner Mannschaft gegen den VfL Wolfsburg im einmal mehr nicht ausverkauften Weserstadion, wählte selbst der spröde, aber doch wundersam witzige Trainer des neuen Bundesliga-Tabellenführers große Worte: „Diese Platzierung spiegelt genau die Leistung wider, die das Team zu Saisonbeginn gezeigt hat“, schwärmte Schaaf. Er „freue“ sich bereits auf das Spitzenspiel gegen den VfB Stuttgart in zwei Wochen und hoffe, „dass die Hütte dann ausverkauft sein wird“. Rasch hatte Schaaf seine Emotionen wieder im Griff und gab, ganz wie gewohnt, den Georg Christoph Lichtenberg des deutschen Fußballs: „Drei Gegentore zu Hause sind zu viel – das geht eben gut aus, wenn man fünf schießen kann.“ Viel kann man dieser aphoristischen Analyse nicht hinzufügen.

Allein: Es war eine bemerkenswerte, vielleicht sogar typische Partie für den SV Werder dieser Bundesliga-Hinrunde 2003. Denn in Momenten, in denen die Mannschaft in der Vorsaison noch in arge Bedrängnis gekommen wäre, blieben die Schaafianer am Sonntag kaltschnäuzig, cool – und konstant am Drücker. Zweimal war den wackeren Wolfsburgern der Anschlusstreffer geglückt (sie schossen das 1:2, später das 2:3), und zweimal kam die Bremer Antwort prompt: Gleichsam im Gegenzug musste Wölfe-Torhüter Simon Jentzsch sich geschlagen geben. Ailton schoss zwei Tore, Micoud eines, und Neu-Nationalspieler Fabian Ernst lieferte sehenswerte Vorlagen in Serie.

Werders offensives Mittelfeldspiel zu sehen war eine Freude. Dazu kommt, dass Micoud mehr und mehr die Rolle des Leitwolfs der Mannschaft verinnerlicht hat. Führt er den Ball am Fuß, so hat man den Eindruck, halten Gegenspieler gerne drei Meter Ehrfurchts-Distanz. Auch am Sonntag präsentierte der Franzose wieder formidable Kabinettstückchen, unter anderem einen Mehrfach-Doppelpass mit Fabian Ernst über das halbe Spielfeld. Aber, und das macht die Leistung von Micoud besonders wertvoll, er ergötzt sich – meistens – nicht an seiner filigranen Ballbehandlung, sondern ist auch Antreiber, Ausputzer, Aufwiegler. Kurzum: Er führt Regie und ist der Chef im Ring.

„Im Grunde hat man das Spiel doch beherrscht“, so das Resümee von Klaus Allofs, leider sei Werder im Abwehrbereich nicht ganz so konzentriert zu Werke gegangen. „Normalerweise sollten wir aber nicht mehr solche Phasen durchmachen wie im letzten Jahr – dass dann ein Vierteljahr lang gar nichts mehr geht“, so Allofs. Vor allem Werders Neuzugang Ümit Davala hatte am Sonntag in der Vierer-Abwehrkette „nicht seinen besten Tag“, räumte Allofs ein – vielleicht habe es daran gelegen, dass ein Beobachter von Inter Mailand im Stadion gewesen war. Derzeit hat das Management aber ganz andere Sorgen: Die Verträge von Ailton und dem Abwehrrecken Krstajic laufen aus, keiner der beiden hat bisher die von Allofs angebotene Verlängerung des Kontrakts akzeptiert. „Wir haben allen Beteiligten ein paar Tage Gelegenheit gegeben, in sich zu gehen, die Hosentaschen umzustülpen und ihr Geld nachzuzählen“, sagte Allofs. Werder sei jedenfalls finanziell „an die Grenzen gekommen“.

Klar scheint, dass es für beide Stammspieler „Interessenten, die sich finanziell in ganz anderen Regionen bewegen“, gibt. Die Spieler müssten eben abwägen, was ihnen wichtiger sei: Werder biete ein unaufgeregtes, professionelles Umfeld ohne viel Trara – und die Gehälter habe man auch nicht gekürzt. All das sagte Allofs abgeklärt wie eh und je. Doch seine Wangen loderten rot. Und aus seinen Augen grüßten Stolz und: Sexappeal.

MARKUS JOX