Franzosen sollen länger arbeiten

Frankreichs konservative Regierung möchte die erst seit 1997 schrittweise eingeführte 35-Stunden-Woche wieder abschaffen – obwohl sie sich zumindest in den großen Betrieben gut bewährt und rund 300.000 neue Arbeitsplätze geschaffen hat

aus Paris DOROTHEA HAHN

Die „Err Tee Tee“ (RTT) – die gesetzliche Einführung der 35-Stunden-Woche – war das Glanzstück der verflossenen rot-rosa-grünen Regierung: Sie sollte die Arbeitszeit verkürzen, neue Arbeitsplätze schaffen und die Lebensqualität verbessern. Den Rechten in Frankreich und einem Teil der Unternehmer war die Reform von Anfang an ein Dorn im Auge. Eineinhalb Jahre nach ihrem Amtsantritt, mitten in einer schweren wirtschaftlichen Rezession und fünf Monate vor den Regionalwahlen, hat die Regierung jetzt zum Generalangriff dagegen geblasen. Mehrere Minister, Regierungschef Jean-Pierre Raffarin inklusive, erklärten, die RTT sei eine „schlechte Maßnahme“, sei „schädlich für die Wirtschaft“ und koste Frankreich „ein Vermögen“. Kurz: Sie gehöre „angepasst“.

Der für den Haushalt zuständige Minister Alain Lambert eröffnete den Angriff. Er stellte die Zahl 15 Milliarden Euro in den öffentlichen Raum und behauptete, so viel koste die RTT alljährlich den französischen Staat. Lambert ergänzte: Ohne die Arbeitszeitverkürzung läge Frankreichs Budget „vermutlich“ unterhalb der von der EU fixierten Obergrenze von 3 Prozent Defizit. Sozial- und Arbeitsminister François Fillon verlangte, die Unternehmer sollten die „Freiheit“ erhalten, die Arbeitszeit „flexibel“ zu gestalten. Und Premierminister Raffarin benutzte den Ausdruck „die Arbeit rehabilitieren“. Er kündigte ein „vertieftes Nachdenken“ über die Arbeitszeitverkürzung an. Ein Gesetz zu ihrer Abschaffung lehnte er ab. Stattdessen will er den Brocken den Gewerkschaften und Unternehmern vorwerfen. Zu Begründung für den sozialen Rückschritt hinter eine Reform, die in Frankreich relativ populär ist, sprach er von der „wirtschaftlichen Rezession“, in der sich sein Land befindet. Es war das erste Mal, dass er diesen bislang verpönten Begriff zur Beschreibung der Lage von knapp über null Prozent Wachstum benutzte.

Die Gewerkschaften reagieren einig wie selten auf den Angriff: Alle lehnen die Abschaffung der 35-Stunden-Woche oder ihre weitere Einschränkung ab. „Angesichts einer Arbeitslosigkeit von 10 Prozent wäre das selbstmörderisch“, erklärte die christliche CFTC in Paris. Viele Gewerkschaften hatten in den vergangenen Jahren die Unzulänglichkeiten des Gesetzes scharf kritisiert.

In den Köpfen vieler Franzosen ist die erst seit 1997 schrittweise eingeführte RTT schnell zu einem festen Bestandteil des Arbeitslebens geworden. Am schnellsten und weitgehendsten umgesetzt wurde die Reform in den großen Betrieben. In den kleinen und mittleren Betrieben hingegen, in denen die Mehrheit der Franzosen arbeitet, wirft die Arbeitszeitverkürzung viele Probleme auf, die bis heute nicht gelöst sind.

Laut den Zahlen des staatlichen französischen Institutes für Statistik (Insee) hat die RTT seit ihrer Einführung für die Schaffung von netto rund 300.000 Arbeitsplätzen gesorgt. Das sind 18 Prozent der zwischen 1997 und 2001 neu geschaffenen Arbeitsplätze insgesamt. Zugleich ist im Zuge der mit der RTT verbundenen innerbetrieblichen Umorganisation die Produktivität gestiegen, laut Insee um 4 bis 5 Prozent.

Wie viel die RTT kostet, ist umstritten. Die Wirtschaftszeitung La Tribune rechnete gestern vor, dass sie den Staat im eigentlichen Sinne keine einzige Centime kostet. Denn die finanziellen Hilfen für die Einführung stammen samt und sonders aus den Kassen der Sozialversicherung. Dort aber sind, dank der neu entstandenen Jobs, auch die Einnahmen gestiegen. Zugleich zahlen die dank RTT Beschäftigten Steuern und konsumieren.

Im Wissen um die wirtschaftlichen und psychologischen Effekte der Arbeitszeitverkürzung zeigt sich der Chef der sozialdemokratischen Opposition, François Hollande, zuversichtlich. Er verlangt jetzt, dass eine parlamentarische Kommission eine „Bilanz der Auswirkungen der 35-Stunden-Woche“ zieht. Hollande: „Wir haben nichts zu befürchten.“