CDU stramm auf Privatisierungskurs

Herzog-Freunde frohlocken: Kommissionsvorschläge zum Abbau der Sozialsysteme passieren die Spitzengremien der CDU. Merz jubelt: „Ende der Sozialdemokratisierung“. Arbeitnehmervertreter froh über „Bewusstsein für sozialen Ausgleich“

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Wenn Friedrich Merz glücklich lachend aus einer CDU-Sitzung herauskommt, wenn er dann sogar die Politik seiner ihm verhassten Chefin in höchsten Tönen lobt – dann muss etwas ganz Besonderes passiert sein. Gestern war so ein Tag. Angela Merkel hat durchgesetzt, was Merz seit langem fordert: die Abkehr von alten Prinzipien der Union – und den Abschied von einem sozialpolitischen Konsens der großen Volksparteien, der die Bundesrepublik seit 1949 prägte.

Fast einstimmig übernahmen Präsidium und Vorstand der CDU gestern die Vorschläge der Herzog-Kommission für einen radikalen Umbau des Sozialstaats. Dies sei „der Anfang vom Ende der Sozialdemokratisierung der CDU“ und „der notwendige Bruch mit Blüm“, jubelte Merz. Merkel selbst wollte so weit nicht gehen, sprach lieber von einem „Paradigmenwechsel“, meinte aber das Gleiche. Es sei „nicht zu pathetisch“, sagte Merkel, wenn sie feststelle, dass gestern „die Weichen für die Zukunft der christdemokratischen Politik gestellt wurden“.

Bei nur zwei Gegenstimmen hatten sich die Führungsgremien der Partei für eine „Eins-zu-eins-Umsetzung“ (Merkel) des Herzog-Konzepts ausgesprochen. Ein Konzept, das mit dem Solidarprinzip im Sozialwesen nicht mehr viel zu tun hat. Statt einkommensgestaffelter Versicherungsbeiträge soll es ein Kopfpauschalensystem geben. Das heißt: Jeder zahlt das Gleiche für die Absicherung der Gesundheits- und der Pflegekosten – egal, wie viel er verdient. Und einen vollen Rentenanspruch will die CDU künftig erst nach 45 Berufsjahren gewähren.

Was den Wirtschaftsflügel der CDU entzückt, sorgt bei den gestandenen Sozialpolitikern der Kohl-Ära für nacktes Grausen. Der frühere stellvertretende CDU-Vorsitzende und ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm warf seiner Partei vor, das Ende von Solidarität und Partnerschaft in den Sozialsystemen vorzuschlagen. „Das ist nicht meine Welt, die da verkündet wird“, sagte Blüm. Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler schimpfte über Herzog und Merkel: „Sie machen aus der CDU eine neoliberale Wirtschaftspartei und zementieren sie damit im 30-Prozent-Turm.“

Ähnlich hatte sich schon zuvor Exgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) geäußert. Seine Ankündigung, die CSU werde ein eigenes, „sozialeres“ Konzept vorstellen, beeindruckte die CDU-Granden gestern wenig. „Das wollen wir erst mal sehen“, erklärte Vorstandsmitglied Friedbert Pflüger. Merkel habe jedenfalls „hundertprozentige Rückendeckung“ von der CDU-Führung bekommen.

Hundertprozentig? Waren da nicht noch die Arbeitnehmervertreter? Richtig. Gegen die Vorschläge votierten der Chef der CDU-Arbeitnehmer, Hermann-Josef Arentz, dessen Gegenkonzept gar nicht erst abgestimmt wurde, und Karl-Josef Laumann. Der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff, enthielt sich der Stimme.

Arentz gab sich hinterher tapfer und freute sich über das „Bewusstsein für den nötigen sozialen Ausgleich“ unter den Kollegen. Einkommensschwache Gruppen, die sich Kopfprämien nicht leisten können, müssten „über das Steuersystem“ abgesichert werden, versprach auch Merkel. Wie das finanziert werden soll, ließ sie jedoch offen.