Kehraus mit Schwarzenegger

„Wir haben so viele Probleme und müssen endlich etwas tun“

aus Pleasenton und Sacramento MICHAEL STRECK

Der kleine Ort steht Kopf: Arnold kommt! Die junge Latino-Frau ist früh gekommen, um einen guten Platz mit freier Sicht auf ihren Helden zu ergattern. Auf ihrem T-Shirt klebt ein Sticker: „Join Arnold“. Die Frau um die dreißig bewundert den Mann, der Kalifornien und Amerika elektrisiert. „Er ist jemand, der weiß, wie man Dinge aus dem Nichts erschafft.“ Und man muss man sie gar nicht erst fragen, sondern sie sagt gleich selbst, dass all die Vorwürfe, er habe Frauen sexuell belästigt, bloß der verzweifelte und schmutzige Versuch seiner politischen Gegner sei, ihn zu diskreditieren. „Warum kommen diese Anschuldigungen jetzt erst hoch?“, fragt sie. „Er hatte halt eine wilde Jugend, na und!“

Das beschauliche Städtchen Pleasenton, eine halbe Autostunde östlich von San Francisco, wird an diesem Samstag von einer Blechlawine überrollt und für einen Nachmittag zum Mittelpunkt Kaliforniens. Der verstaubte Park am Stadtrand füllt sich mit Arnold-Fans, darunter viele junge Leute, Asiaten und Latinos. Die einzigen Schwarzen spielen in der Funk-Band, die nicht viel Mühe hat, die Stimmung anzuheizen. Was außerhalb des „Golden State“ als Politikzirkus und absurdes Wahlspektakel betrachtet wird, verdichtet sich hier zum bitter ernsten Kampf um den Gouverneurssessel. Die Gemüter sind erhitzt, der Frust sitzt tief. Denn für die meisten geht es um nichts weniger als die Zukunft ihres Bundesstaates.

Das ist die Geschichte, die sie bewegt: Der Niedergang ihres an Erfolg gewöhnten Staates, der Stillstand, die maroden Straßen und Brücken, die vernachlässigten Schulen, die flüchtenden Unternehmen, die hohen Steuern und Preise. „Kalifornien ist noch immer mein Traumstaat“, sagt ein Inder, der im Silicon Valley in einer Software-Firma arbeitet. „Doch wir haben so viele Probleme. Wir müssen endlich etwas tun.“ Sarah Meyers, Staatsbeamtin in der Hauptstadt Sacramento, will ihren Boss, den noch amtierenden Gouverneur Gray Davis, in die Wüste schicken. „Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig innerhalb Amerikas und völlig überreguliert“, klagt sie und wünscht sich einen durchsetzungsfähigen Landesvater, der endlich die überfälligen Reformen anpackt.

Der Verdruss scheint so groß, dass für manche der Exbodybuilder und Mister Universum Arnold Schwarzenegger einfach das kleinere Übel ist. Kathleen Valdez, mit dunkler Sonnenbrille und Tattoo auf der Schulter, beschreibt sich als „eingefleischte Republikanerin“. Obwohl Schwarzenegger ein Abtreibungsbefürworter ist, will sie für ihn stimmen. „Ich hasse Gray Davis so sehr, dass ich ihn auf jeden Fall aus dem Amt jagen will“, sagt sie. Neben ihr steht eine Mittfünfzigerin mit leuchtend roten Fingernägeln, goldbraunem Haarpilz und dutzenden Ringen. Für sie ist Arnold der geeignete Mann zum richtigen Zeitpunkt. Er verkörpere den „American Dream“, schwärmt sie. „Er hat sich hochgearbeitet und kennt die Sorgen der kleinen Leute, da er aus bescheidenen Verhältnissen kommt.“ Der Einwanderer aus Österreich, der in Europa oft eher als politische Witzfigur abgestempelt und auf seine Filmrollen mit mageren Satzanteilen reduziert wird, ist für Kalifornier zuallererst ein erfolgreicher Geschäftsmann. In Amerika, wo zweitklassige Westerndarsteller wie Ronald Reagan und Wrestling-Stars wie Jessie Ventura Gouverneur werden können, trauen sie einem wie Schwarzenegger dieses Amt allemal zu.

Auf der Bühne neben dem Rednerpult steht mittlerweile Arnolds Vorhut, uniformierte T-Shirt-Träger und die erste Republikaner-Garde des Landes, um ein Loblied auf seine Macher-Qualitäten zu singen, wobei Schwarzenegger stets zu „Schworzenegger“ wird. Ein 8-Jähriger spricht andächtig den Schwur auf die Fahne, ein Mädchen singt die Nationalhymne, und bei der Liedzeile „Land of Free“ braust frenetischer Beifall auf. Die einfallende Pressemeute in Hundertschaftengröße kündet dann die Ankunft des Hoffnungsträgers an. Arnold, in Khakihose und schwarzer Sportjacke, muss nur sagen „We are mad as hell“ und „Hasta la vista Davis“, schon jubelt die Menge.

Seine Botschaft ist simpel: Ich will es, ich kann es, vertraut mir, Details gibt's später. Das reicht. Die Leute sind aus dem Häuschen. Strikt hält sich Schwarzenegger an sein Redemanuskript, ignoriert die wenigen, aber lautstarken Protestrufe von Frauengruppen aus dem Hintergrund und schweigt beharrlich zu den Anschuldigungen sexueller Belästigung von mittlerweile 15 Frauen, die in den letzten drei Tagen von der Los Angeles Times veröffentlicht wurden. Kein Wort auch zu seiner angeblichen Hitler-Bewunderung als junger Mann. Später wird er zwar im Fernsehen die Vorwürfe zurückweisen, doch sehen sich er und sein Wahlkampfteam anhand der letzten Umfragen offenbar bereits so weit auf der Siegerstraße, dass sie eine energische Abwehrstrategie der brisanten Enthüllungen nicht mehr nötig haben. Nach kurzem Händeschütteln und bunten Papierschnipsel-Salven entschwindet der Kandidat in seinen Bus mit der Aufschrift „Let’s bring California back“. Auf nach Sacramento, auf zum Kapitol, dem Amtssitz des Gouverneurs, den es zu erobern gilt.

„Er weiß, wie man Dinge aus dem Nichts erschafft“

Dafür ist Schwarzenegger nicht der einzige Anwärter. Zum großen Finale seiner viertägigen Bus-Tour durch Kalifornien haben sich auch 25 der insgesamt über 130 übrigen Kandidaten angesagt. Während der Terminator den Ostflügel des Parlamentsgebäudes für seine Show nutzen darf und alle Aufmerksamkeit absaugt, kämpft der bunte Haufen von alternativen Republikanern, Demokraten und Unabhängigen auf der Westseite gegen die Übermacht Hollywoods. Der kakophone Chor der chancenlosen Herausforderer macht vor allem deutlich, wie zerrissen die Bevölkerung in vielen Sachfragen ist, einig lediglich im gemeinsamen Ziel, den Amtsinhaber loszuwerden. Christopher Sproul, ein Rechtsanwalt aus San Francisco, tritt für die Demokraten an und kritisiert heftig die Neuwahl. Sie sei zu teuer für den bankrotten Staat und nur der Versuch der Republikaner, in der liberalen Hochburg Kalifornien endlich wieder an die Macht zu kommen. „Das rechtlich legitime Mittel der Abwahl wurde missbraucht.“ Diese Haltung teilen viele Demokraten. Davis sei kein Krimineller, sondern lediglich ein schlechter Politiker. Ohne die Neuwahlmöglichkeit hätten die Republikaner jedoch noch drei Jahre auf die nächste Chance der Machtergreifung warten müssen.

Wer mit Gegnern und Befürwortern des „Recall“ und Anhängern beider Parteien spricht, erlebt eine vollkommen gespaltene Wählerschaft. Die Abneigung zwischen Republikanern und Demokraten ist tief und emotional. Manchmal hat man den Eindruck, mit Menschen aus unterschiedlichen Staaten zu sprechen, so verschieden nehmen sie ihr eigenes Land wahr. „Unsere Gesellschaft wird immer polarisierter, ideologischer, und Kalifornien forciert den Prozess nur noch“, sagt Diana Foss, Mutter zweier Kinder und ebenfalls Kanditatin aus der Computerstadt San Jose. Sie spricht von einem „Kulturkrieg“, der beide Seiten für sachliche Argumente verschließt. Ironischerweise hat Schwarzenegger, der – den Hardcore-Republikanern viel zu liberal und verheiratet mit Maria Shriver aus der Kennedy-Sippe –, sich als Brückenbauer verkaufen wollte, mit seinem aggressivem Vokabular die Bereitschaft zum Dialog nicht befördert.

Mittlerweile ist die Zahl der Arnold-Verehrer auf einige tausend angeschwollen. Auch seine Gegner müssen neidvoll anerkennen: Er mobilisiert, schafft es, die Menschen anzusprechen, obwohl er kaum etwas zu sagen hat. Die Kritik an seinem inhaltsleeren Wahlkampf und die Belustigung über seinen herben Akzent sind ins Leere gelaufen. Cheerleader-Mädchen kreischen, und die Mischung aus FDJ-Jugendfestival, Volksfest und Sportveranstaltung steuert ihrem Höhepunkt entgegen. Eine Hardrock-Band in Leder beschallt das Publikum. Die Wahlkampfmanager haben sich eindeutig für Lautstärke entschieden; so lassen sich auch die wütenden Proteste von Abtreibungsgegnern, Umweltschützern und Frauengruppen besser übertönen. Mit dem letzten Akkord kommt Schwarzenegger auf die Bühne. Jemand reicht ihm einen Besen und er spricht seinen mittlerweile berühmten Satz „I will clean house“, womit er die Regierungsetagen in ebenjenem Kapitol meint, auf dessen Stufen er steht. Wenn heute Abend die Wahllokale schließen, wird in Kalifornien entweder Geschichte geschrieben oder einfach nur ein großer Spuk vorbei sein.