normalzeit
: HELMUT HÖGE über Will-Frieden Sabelus-Frach

Da-Fort-Da-Fort-Da-Fort

Unter den Verkäufern der Obdachlosenzeitungen gab es mal einen, der besonders cool und charmant war. Später sah ich ihn vor dem Sporthaus in der Schönhauser Allee auf einer Bank sitzen und Dosenbier trinken. Er besaß einen 2CV-Anhänger, der auf dem Gehweg parkte. Und dieser war voll mit Exemplaren des Eichborn-Buches „Vogelfrei“, in dem seine Lebensgeschichte stand – aufgeschrieben von einer reichen Wienerin namens Friederun Pleterski.

Eines Abends kaufte ich ihm ein Buch ab, was ihn sehr erfreute, weil er Pleite war: Er war gerade dabei, seine neue Wohnung überm Sporthaus zu renovieren – und zwar sehr aufwändig und teuer. Wie ich dann aus „Vogelfrei“ erfuhr, war das schon immer eine Macke von ihm gewesen. Der 1952 geborene Will-Frieden wuchs in einer sächsischen Kneipe auf und lernte später Kellner. Er arbeitete in den besten Restaurants und Hotels der DDR. 1975 wurde er fälschlicherweise als Republikflüchtling denunziert und kam für drei Monate in den Knast, anschließend durfte er nur noch in Billiglokalen kellnern. Er landete in der Transitgaststätte am Hermsdorfer Kreuz: „Eine miese Maloche! Aber es gab Westgeld.“ Er verdiente dort 500 Mark Ost plus 1.000 Mark West im Monat – und fuhr bald einen Dacia R12.

Während eines Urlaubs in Rumänien schwamm er eines Nachts durch die Donau rüber nach Jugoslawien. In Belgrad meldete er sich bei der BRD-Botschaft. Die schickten ihn nach Gießen. Von dort rief er als Erstes beim Hotel Dornbusch auf Hiddensee an, wo sein Freund, der Oberkellner Lutz, arbeitete. „Ich hab solches Heimweh“, gestand er ihm. Um der DDR näher zu sein, zog Will-Frieden nach Westberlin. Auch hier kellnerte er, aber „ich betrog nicht mehr, ich machte Geschäfte“. Bei einer Gewerkschaftsbossfeier und vielen 100 Sektflaschen machte der Verlust von einer Kiste Sekt „gar nichts aus“. Und dann schaffte es auch sein Freund Lutz in den Westen. Gemeinsam machten sie einen Ausflug nach Hiddensee – über Kopenhagen: und wurden sofort verhaftet. Im Knast meditierte er und beschäftigte sich mit Gott: „Das Zuchthaus war meine göttliche Prüfung.“ Nach 15 Monaten wurde zwar sein Auto als „Fluchtfahrzeug“ einbehalten, er selbst jedoch in den Westen abgeschoben. Dort fasste er dann einen Entschluss: „Mein Leben sollte ein einziger Urlaub werden.“ Mit Fahrrad und Cockerspaniel fuhr er Richtung Frankreich. Unterwegs führte er Tagebuch. Fünf Jahre lang kam er mit fünf Mark am Tag aus. In Spanien nannten sie ihn „Sport-Billi“. Dort hatte er dann nur noch einen Wunsch: „Berlin, mein Berlin“. Irgendwann trampte er dorthin – mit einer Ente unterm Arm. In Westberlin fing er an, sich nach dem Osten zu sehnen, er „vermisste“ als Kommunist „das Gute am System drüben“. Stattdessen fuhr er nach Teneriffa, wo er das Herstellen von Masken aus Marmorat lernte, die er an Touristen verkaufte. Das tat er anschließend auch in Westberlin auf dem Flohmarkt, wo man ihn „Masken-Willi“ nannte. Der Flohmarkt-Chef Wewerka „schloss ihn bald in sein Herz“, aber es zog ihn wieder fort. Diesmal mietete er eine Hütte auf einem Berg in Kärnten, baute Gras an und konstatierte dort schließlich: „Ich habe eine hohe Lebensqualität erreicht.“

Dann fiel jedoch die Mauer – und Willi hielt im Westen nix mehr. In Ostberlin angekommen, fühlte er sich sofort wieder heimisch: „Hier war alles so relaxed und ostisch!“ Beim Kiffen sagte ihm eine Stimme: „Deine DDR braucht dich! Jetzt geht es ans Eingemachte.“ Erst mal beteiligte er sich an einer „Werbefahrt für die SED“ und schrieb einen Artikel für das ND: „Die guten Kommunisten, sie wollten mich“. Im ZK war allerdings „die Stimmung auf dem Nullpunkt. ‚Ihr dürft nicht alles über Bord werfen, Kinder‘, sagte ich zu den Genossen.“ Er bekam von ihnen Geld, einen Wagen mit Chauffeur und fuhr durch die DDR, um sämtliche SED-Kreisleitungen auszuräumen – bevor die Wessis das Zeugs abgriffen. Damit war er eine Weile beschäftigt, dann bekam er als „Verfolgter des SED-Regimes“ eine gute Rente und bezog die o. e. Wohnung in der Schönhauser Allee, wo er oft auf der Bank vor der Tür saß.

Saß – denn seitdem das Sporthaus dichtmachte und ein „Balzac Coffee“-Laden dort einzog, sitzt er nicht mehr da. Auch sein 2CV mit Anhänger ist verschwunden und ebenso seine zwei Hunde. Wo steckst du, Willi? Wir brauchen dich!