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Kirschblüten und Rote Drachen

In keiner anderen Sportart haben die Teams so blumige Namen wie im Rugby. 22 dieser liebevoll titulierten Mannschaften werden ab heute beim World Cup in Australien versuchen, einen erneuten Titelgewinn der Gastgeber zu verhindern

aus Sydney MICHAEL LENZ

Pumas aus Argentinien und Kirschblüten aus Japan, walisische Rote Drachen und südafrikanische Springböcke, Ikale Tahi aus Tonga und die Eichen aus Rumänien sowie sechzehn weitere Länderteams werden von heute an bis zum 22. November in Sydney und anderen australischen Metropolen um den „William Webb-Ellis Cup“, die Siegertrophäe des Rugby World Cups (www.rugbyworldcup.com), treten, werfen und raufen. Drei Jahre nach den Olympischen Spielen und ein Jahr nach dem schwul-lesbischen Sportfest Gay Games ist Australien wieder Gastgebernation eines internationalen Sportfestes. Weltweit werden mehr als eine Milliarde Fernsehzuschauer heute die fulminante Eröffnungsfeier im Olympiastadion von Sydney und das anschließende Aufeinandertreffen der australischen Wallabies, der amtierenden Rugby-Weltmeister, mit den Pumas aus Argentinien live miterleben.

Gut 40.000 Rugbyfans aus den Teilnehmerländern des World Cups wie Kanada oder Georgien, Paraguay oder Namibia, Samoa oder England werden in den kommenden sechs Wochen in Australien einfallen. Die Rugbyfans seien leicht an den Deformationen ihrer Gesichter wie Blumenkohlohren, fehlenden Zähnen oder Narben um die Augen zu erkennen, lästern in diesen Tagen australische Medien. Verletzungen, die sich die Kerle als Amateurspieler oder bei Wirtshausraufereien mit Fans der gegnerischen Mannschaft zugezogen haben. Mann ist eben nicht zimperlich im Rugby. Das stellte auch der Coach der Azzurri aus Italien eindrucksvoll unter Beweis „Ihr werdet spielen, wie ihr in Rom Auto fahrt: aggressiv und unvorhersehbar“, trichterte John Kirwan, ehemaliger Spieler der neuseeländischen „All Blacks“, seinem Team ein.

Die „All Blacks“ sind auch nicht von schlechten Eltern. Vor jedem Spiel führen die „Ganz Schwarzen“ den furchterregenden Haka, den Kriegstanz der Maori, auf. Mit weit aufgerissenen, diabolisch verdrehten Augen, ausgestreckter Zunge und dem Ruf „Der Tod! Der Tod! Das Leben!“ soll die Gegner das Fürchten gelehrt werden. Das Aufeinanderprallen der beiden Erzfeinde Wallabies und All Blacks während des World Cups wird mit Spannung erwartet. Haben die Neuseeländer doch ein Hühnchen mit ihren australischen Vettern zu rupfen. Mit List und Tücke nämlich war es den Aussies gelungen, die Kiwis als Mitveranstalter des Rugby World Cup auf den letzten Drücker auszubooten, um die fette Beute von umgerechnet rund 590 Millionen Euro aus Sponsoreneinnahmen, Ticketverkauf und Touristendollars mit niemandem teilen zu müssen.

Als Favoriten auf den Weltmeistertitel gelten neben den in den letzten Monaten unwiderstehlichen Neuseeländern die Engländer. Ob es zum Traumfinale Neuseeland–Australien kommen wird, scheint eher fraglich zu sein. Die Wallabies haben sich in den vergangenen Monaten nicht in Topform gezeigt und mussten sich gar bei zwei Heimspielen den All Blacks geschlagen geben. Das Geschehen aufmischen könnten jedoch einige der kleineren Rugbyländer wie Fidschi oder Argentinien, angefeuert von dem Ehrgeiz, es den Aussies, Kiwis und Tommies mal so richtig zu zeigen. Aber auch den Franzosen, Gastgeber des nächsten Rugby World Cups in vier Jahren, räumen Experten eine gute Außenseiterchance ein.

Die Erfindung des Rugby lässt sich präzise datieren. 1823 nämlich packte William Webb-Ellis, Student an der Universität im englischen Rugby, während eines Fußballspiels einfach den Ball mit beiden Händen, stürmte ohne Rücksicht auf Regeln und Verluste durch die gegnerischen Verteidigungslinien und erzielte ein Tor. Der Rugby-Football war erfunden. Zu Webb-Ellis’ Zeiten war der Ball allerdings noch rund und stammte aus der Werkstatt des Schusters William Gilbert, der das „Leder“ aus Schweineblasen herstellte. Kein besonders angenehmer Job, mussten die Blasen doch im frischen, also übelst riechendem Zustand, per Mund aufgeblasen werden. Seine ovale Form erhielt der Rugby-Ball einige Jahre später. Den ersten dieser Art stellte Gilbert 1835 in London vor.

Die Rugby-Nationalmannschaft aus Deutschland, wo Rugby immerhin seit 1872 in heutzutage über 70 Vereinen gespielt wird, konnte sich nicht für den World Cup qualifizieren. Was Volker Himmer, Geschäftsführer des Deutschen Rugby-Verbandes (DRV), nicht weiter verwunderlich findet. „Bei den teilnehmenden Spielern handelt es sich fast ausschließlich um Profis, und Rugby ist in Deutschland ein hundertprozentiger Amateursport.“

Das ist Rugby jedoch in den meisten der teilnehmenden Nationen. Selbst in der Rugbygroßmacht Australien, die seit dem ersten World Cup 1987 bereits zweimal Champion wurde, ist das Ballspiel erst seit 1995 Profisport. Die georgische Nationalmannschaft „Lelos“ bewies richtigen Sportsgeist und nächtigte aus Geldmangel vor ihrem Qualifikationsspiel gegen Frankreich gar im Zelt. Der Einsatz hat sich gelohnt. Die Georgier sind erstmalig beim Rugby World Cup vertreten. Und für Überraschungen gut.

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