Der Schriftgläubige

Über die Öffentlichkeit im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie gab er einst düsterste Prognosen ab. Mit 72 Jahren ist Neil Postman, der populäre Saubermann der US-Medientheorie, nun gestorben

von DANIEL BAX

Er wäre nicht amüsiert gewesen. Wie Arnold Schwarzenegger bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien seinen Sieg errang, hätte Neil Postman in seinen düstersten Befürchtungen nur bestätigt. Zwei Worte – „clean house“ – und sein Superstar-Image genügten dem Parvenü aus Hollywood, um all seine Kontrahenten weit hinter sich zu lassen. Symbolträchtiger hätte man den Triumph des Show-Business und der Logik des Entertainments über die Politik nicht inszenieren können.

Mit dieser These hatte Neil Postman einst Berühmtheit erlangt. „Der öffentliche Diskurs im Zeitalter des Show-Business“ lautetet der Untertitel seines Bestsellers „Wir amüsieren uns zu Tode“, in dem er das Medium Fernsehen anprangerte, Motor dieser Entwicklung zu sein. Das Buch, dessen Titel bald zum Bonmot avancierte, erschien in vielen Ländern. In der Bundesrepublik der 80er-Jahre aber, wo gerade Kabelfernsehen und Privat-TV eingeführt wurden, fielen seine Mahnungen auf besonders fruchtbaren Boden.

Im Sinne Umberto Ecos, der die Spezies der öffentlichen Intellektuellen einst griffig in „Apokalyptiker und Integrierte“ unterteilt hatte, war Neil Postman sicherlich ein Apokalyptiker. Von Haus aus Erziehungswissenschaftler, kreisten seine frühen Bücher um Fragen des Bildungssystems. Erst später stieß er auf das Feld der Medienkritik vor. Schon in „Das Verschwinden der Kindheit“ (1984) hatte er beklagt, das Fernsehen zerstöre durch seine nivellierende Kraft die geistige Entwicklung der Jugend. In seinen folgenden Büchern weitete er diese These auf die gesamte Gesellschaft aus und nahm auch die neuen Informationstechnologien ins Visier. Angeblich soll er selbst weder Computer, Faxgerät noch einen Anrufbeantworter besessen haben, heißt es.

Neil Postmans Kritik galt dem Verfall der Lesekultur, die er zur Ausbildung eines kritischen Urteilsvermögens für unabdingbar hielt. Das Medium Fernsehen banalisiere jede Botschaft, beklagte er, wobei sein behaupteter Antagonismus zwischen Bild und Schrift gelegentlich etwas schlicht gestrickt wirkte.

Nicht nur in seiner pessimistischen Weltsicht zeigte sich Postman zutiefst kulturkonservativ. Auch in seinem Vokabular, mit dem er die Gefahren der Kontamination durch allgegenwärtigen „Medienmüll“ und „Reizüberflutung“ beschwor, gab er sich als Saubermann. In einem seiner letzten Bücher warnte er sogar vor „kulturellem Aids“.

Man muss es als Ironie der Rezeptionsgeschichte betrachten, dass Postman in der deutschen Kommunikationswissenschaft nie so recht ernst genommen wurde: Der Beststellerautor argumentiere zu populistisch und pauschal, lautete das Verdikt. Dabei muss man ihm bescheinigen, dass er weit unterhaltsamer zu schreiben wusste als die meisten seiner deutschen Kollegen.

Bis zuletzt lehrte Neil Postman an der New York University das Fach „Medienökologie“. Nun, da er am Sonntag im Alter von 72 Jahren an Lungenkrebs gestorben ist, dürften seine Bücher noch einmal einer Revision unterzogen werden. Denn viele Prognosen, die Postman mit Blick auf amerikanische Verhältnisse traf, sind inzwischen auch hierzulande eingetreten: die Boulevardisierung der Medien etwa und ein Bildungsverlust, den die Pisa-Studie offenbarte.

Ob das allein die Schuld des Fernsehens ist und damit tatsächlich auch eine Entmündigung der Gesellschaft einhergeht, bleibt jedoch eine Frage des Blickwinkels. Die FDP jedenfalls hat bei den letzten Wahlen die Grenzen der Spaßgesellschaft erfahren müssen: Sie liegen bei müden 7 Prozent. Und auch Arnold Schwarzenegger muss sich als Politiker jetzt erst beweisen.