MAUT-VERTRÄGE: DAIMLER-VORSTAND LENKT EIN UND ERLAUBT LEKTÜRE
: Misstrauen bis zuletzt

Das wäre zu grotesk gewesen: Der Bundestag darf selbst die geheimsten Geheimdienst-Operationen kontrollieren, aber nicht die Mautverträge, die den Bürger nun so teuer zu stehen kommen? Wiederholt hat DaimlerChrysler-Vorstand Klaus Mangold die Einsichtnahme verhindern wollen – und damit das Misstrauen geschürt. Was noch mehr beunruhigte: Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe, so Mangold, sollte einige Passagen nur mündlich erläutern dürfen. Also hätte es einen Unterschied gegeben zwischen dem, was die Abgeordneten lesen wollten, und dem, was sie hören sollten?

Jetzt hat Toll Collect eingelenkt. Noch sind die genauen Bedingungen nicht bekannt, aber in einem fast gnädigen Tonfall will das Versagerunternehmen jetzt Einsicht gewähren, wenn der Text nicht abgeschrieben, kopiert, gefilmt oder fotografiert wird. Dieser Vorbehalt nimmt Mangolds ärgerliches Argument wieder auf, der Vertrauensschutz sei nicht gewährleistet und Patente könnten gefährdet werden. Dabei geht es eigentlich um die Klauseln, die sich mit der Entschädigung, der Haftung und den Strafen befassen – und die aller Wahrscheinlichkeit nach verdammt unangenehm für die rot-grüne Bundesregierung werden. Schon jetzt ist klar, dass der Staat sich übervorteilen ließ. Wie groß der unabwendbare Schaden für die öffentliche Hand tatsächlich ist, werden nun wenigstens die Parlamentarier aus erster Hand erfahren können. Ob allerdings Wachmänner von Toll Collect im Bundestagsgebäude die Abgeordneten auf das heimliche Mitführen von Kugelschreibern untersuchen, ist bisher noch nicht bekannt.

Was aber ist, wenn die Parlamentarier nach Durchsicht der juristischen Klauseln die Kündigung des Vertrags empfehlen? Stolpe steckt in einem Dilemma: Der Bund ist Hauptaktionär der Telekom, die mit DaimlerChrysler Eigentümer von Toll Collect ist. Der Minister will so verhandeln, dass die beiden Konzerne gerade noch um schwere materielle Einbußen herumkommen, er selbst aber sein Gesicht nicht verliert. Das nennt sich dann einvernehmliche Kooperation von Politik und Wirtschaft. Es liegt nun an den Parlamentariern, dafür zu sorgen, dass das nicht passiert. Mit oder ohne Kugelschreiber. HANNA GERSMANN