Galgenfrist für Verstöße gegen WTO

Europäischer Gerichtshof lehnt Schadensersatzpflicht der EU ab. Geklagt hatte eine französische Fleischfirma wegen Importverbot für US-Hormonfleisch. Künftig muss die EU jedoch Beschlüsse der Welthandelsorganisation ernster nehmen

von CHRISTIAN RATH

Im Streit um das Importverbot für US-Hormonfleisch muss die EU immer noch keinen Schadensersatz an betroffene Unternehmen zahlen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Offen blieb aber die Grundsatzfrage, ob einzelne Unternehmen sich auf die Beschlüsse der Welthandelsorganisation (WTO) berufen können.

Mit zwei Richtlinien aus den Jahren 1981 und 1985 hat die EU ein weitreichendes Verbot für Wachstumshormone in der Tiermast beschlossen. Das darauf basierende Einfuhrverbot für entsprechendes Fleisch wurde jedoch von den USA und Kanada, wo derartige Mittel erlaubt sind, 1995 vor der WTO angegriffen.

Tatsächlich unterlag die EU in diesem Streit. Ein Schlichtungsgremium der WTO stellte 1997 fest, dass die EU gegen ihre Verpflichtung zu fairem Handel verstoßen habe. Ein Jahr später wurde auch die Berufung der Europäer abgelehnt. Es gebe keinen wissenschaftlichen Beleg, so die WTO-Gremien, dass die Verwendung bestimmter Hormone als Wachstumsförderer mit Krebsrisiken in Verbindung stehe.

Daraufhin erklärte die EU-Kommission, dass sie das Urteil umsetzen wolle, und erhielt dafür eine Frist bis Mitte 1999 – die aber ergebnislos verstrich. Ein Jahr später legte die Kommission einen Vorschlag für ein leicht verändertes Importverbot vor, das sie auf „neue wissenschaftliche Erkenntnisse“ stützte. Dieser Vorschlag wurde allerdings im Rat nie beschlossen, so dass immer noch das von der WTO beanstandete alte Importverbot gilt. Seit 1999 verhängen die USA deshalb – mit Billigung der WTO – Strafzölle gegen bestimmte EU-Produkte wie Gänseleberpastete aus Frankreich.

Im aktuellen Rechtsstreit vor dem EuGH klagte die Pariser Fleischhandelsfirma Biret. Sie forderte von der EU Schadensersatz für entgangene Einnahmen, weil diese rechtswidrig an ihrem Importverbot für Hormonfleisch festhalte.

Bisher hat der EuGH derartige Schadensersatzforderungen gegen die EU stets abgelehnt. Zu Zeiten der WTO-Vorgänger-Organisation Gatt argumentierten die EU-Richter damit, dass Gatt-Beschlüsse nicht gegen den Willen der Betroffenen umgesetzt werden können und deshalb nicht verbindlich seien. Dies spielte in den 90er-Jahren im „Bananenstreit“ eine Rolle. Die deutschen Importeure, deren Einfuhr so genannter Dollarbananen aus Lateinamerika zugunsten der EU-Bananen behindert wurde, erhielten damals keinen Schadensersatz, obwohl Gatt-Gremien die EU-Marktordnung kritisiert hatten.

Auf diese Rechtsprechung stützte sich 2002 auch das Europäische Gericht Erster Instanz (EuG) und lehnte die Klage der – 1995 pleite gegangenen – Fleischfirma Biret ab. Zu Unrecht, fand der deutsche Generalanwalt Siegbert Alber in der Berufungsverhandlung – und unterstützte die Forderung von Biret. Beschlüsse der WTO-Streitschlichtungsgremien seien verbindlich und müssten von den verurteilten Staaten „bedingungslos“ umgesetzt werden. Bei Vorliegen neuer und überzeugender wissenschaftlicher Erkenntnisse könne zwar ein WTO-konformes neues Importverbot verhängt werden. Tatsächlich aber sei die EU auch vier Jahre nach Ablauf der Frist völlig tatenlos geblieben. Das müsse ein betroffenes Unternehmen nicht hinnehmen.

Das EuGH-Urteil war mit Spannung erwartet worden, doch fiel es vorige Woche quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Der EuGH rügt darin das EU-Gericht Erster Instanz, weil es die Besonderheiten des neuen WTO-Streitschlichtungsverfahrens nicht berücksichtigt habe. Er deutete damit zumindest an, dass die alte Rechtsprechung nicht mehr haltbar ist. Kommission und Rat müssen künftig wohl die WTO-Verfahren ernster nehmen als bisher, weil dann nicht nur Strafzölle im Ausland, sondern auch Schadensersatzansprüche in Europa drohen.

Dennoch wurde die Biret-Klage abgelehnt. Eine Pflichtverletzung der EU war von der WTO nämlich erst 1998 unmissverständlich festgestellt worden. Die Pariser Fleischfirma sei dagegen schon 1995 Pleite gegangen und könne daher eindeutig keine Rechte aus WTO-Recht geltend machen.

Urteil unter www.curia.eu.int.