Inszenierungen von Glück

Zelda war die Muse F. Scott Fitzgeralds. Sie war sein Modell und sein Teufel. Doch am Ende der exzessiven Ehe blieb: unpersönlicher Dank

VON GERRIT BARTELS

„Es gibt alle Arten von Liebe auf der Welt, aber niemals die gleiche Liebe zweimal“ – mit diesem Satz beendet F. Scott Fitzgerald 1924 eine Erzählung, die von einem jungen Mann und seiner Liebe zu einem „kleinen, dunkelhaarigen Mädchen“ handelt, „das an seiner Klemme schuld war“. Der junge Mann kündigt seinen Job in New York, um sie in ihrer Kleinstadt in Tennessee zu besuchen. Der Besuch erweist sich als melancholisch verhangen und unergiebig. Ein Jahr später kehrt er zurück, beruflich gefestigter und gereift, denn er weiß: Diese Liebe hat jetzt einen anderen Charakter.

Als Fitzgerald diese Erzählung mit dem Titel „Das Vernünftige“ für einen Kurzgeschichtenband auswählt, beschreibt er sie seinem Verleger mit den Worten: „Über Zelda und mich, alles wahr.“ Sein kleines, dunkelhaariges Mädchen heißt Zelda Sayre und kommt ebenfalls aus dem Süden der Staaten: aus Montgomery, Alabama. Fitzgerald, 1896 in St. Paul, Minnesota, geboren, ist nach einem abgebrochenen Studium in Princeton gerade als Soldat in Alabama stationiert, als er die 18-jährige Zelda im Juli 1918 im Country Club von Montgomery kennen lernt. Für beide muss es so was wie Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Sie fühlen sich nicht nur äußerlich voneinander angezogen, sie teilen auch die Vorstellungen von einem Leben auf der Erfolgsspur, einem aufregenden, glamourösen Leben.

Fitzgerald mit seiner Brooks-Brothers-Uniformjacke und den gelben Reitstiefeln beeindruckt Zelda durch seine Eleganz und betont diese auch körperlich. Zelda beschreibt in ihrem 1932 erschienenen, überwiegend autobiografisch motivierten Roman „Darf ich um den Walzer bitten“ seine Bewegungen beim Tanzen: „Es war, als spüre er unterhalb seiner Schulterblätter eine himmlische Beflügelung, die seine Füße in verzückter Federung vom Boden hob, und als genieße er heimlich die Gabe zu fliegen – als Zugeständnis an das Herkömmliche“. Was Zelda genauso beeindruckt: Scott träumt von Ruhm und Reichtum als Schriftsteller und beabsichtigt, das Manuskript seines ersten Romans beim New Yorker Verlag Scribener einzureichen.

Zelda dagegen ist schon eine kleine Berühmtheit: Gerade zum hübschesten und attraktivsten Mädchen ihrer Abschulklasse gewählt, sorgt sie in Montgomery für Aufsehen durch ihr ungestümes Wesen, ihr provozierendes Selbstbewusstsein und ihre beharrlichen Emanzipationsbestrebungen. Sie ist der Prototyp des „Flappers“, der bevorzugten Frauenfigur in Fitzgeralds Frühwerk. Den Flapper definiert Zelda 1922 selbst in einem Zeitungsartikel: „Die Flappers flirteten, weil es Spaß machte, trugen einteilige Badeanzüge, weil sie eine gute Figur hatten, bemalten und bepuderten ihr Gesicht, weil sie es nicht nötig hatten, und lehnten es ab, sich zu langweilen, weil sie selbst nicht langweilig waren.“

Sind die ersten Monate noch wie ein Rausch, so ist die Beziehung schon im darauf folgenden Jahr schweren Belastungsproben ausgesetzt: Nach seiner Entlassung aus der Armee im Februar 1919 geht Scott nach New York, um sich als Werbetexter durchzuschlagen. Ruhm und Reichtum aber lassen auf sich warten, sein Roman wird abgelehnt. Statt brav auf ihren Prinzen zu warten, will Zelda weiter ihren Spaß mit Männern und auf Bällen und Partys haben. Je dringlicher Scotts nervöses, eifersüchtiges Werben wird, desto stärker kommen ihr Zweifel – die schon erfolgte Verlobung löst sie auf. Er aber, nach einer kurzen Krise und einigen exzessiven Sauftouren, gibt nicht auf, ermutigt auch durch die nach einigen Änderungen erfolgte Annahme seines ersten Romans „Diesseits vom Paradies“. Als Zelda schließlich in die Heirat einwilligt, weiß sie ebenfalls um den neuen Charakter ihrer Liebe. Sie schreibt in ihren Briefen an Scott Sätze wie: „Irgendwie kommen mir die Worte ‚Wenn Liebe sich in Freundschaft wandelt‘ nicht mehr so schrecklich vor wie früher.“ Oder: „Diese erste Hingabe konnte nicht dauern, aber alles, was sie verursacht hat, ist immer noch ungeheuer lebendig […], trauere also nicht um eine arme kleine verlorene Erinnerung, wo wir doch einander haben.“

Dass es aber diese „armen kleinen verlorenen Erinnerungen“ sind, aus denen sich die Beziehung zwischen Scott und Zelda Fitzgerald in Zukunft hauptsächlich speisen sollte, lässt sich jetzt schön nachlesen in einem von den Literaturwissenschaftlern Jackson R. Bryer und Cathy Barks herausgegebenen, von Dora Winkler übersetzten und von Hanns Zischler mit einem Nachwort versehenen Briefband namens „Lover!“ (DVA, München 2004, 266 Seiten, 19,90 Euro). Er enthält einen großen Teil des noch erhaltenen Briefwechsels, den Scott und Zelda zwischen 1930 und 1940 führten. Ersteres das Jahr, in dem Zelda erstmals einen schizophrenen Schub hat, der Beginn vieler durch Zeldas Klinikaufenthalte bedingten räumlichen Trennungen. Letzteres das Jahr, in dem Scott im Beisein seiner neuen Lebensgefährtin Sheila Graham in Hollywood an einer Herzattacke stirbt.

Es sind dies die Jahre, die auf die berühmten „brüllenden“ Zwanzigerjahre folgen, auf das von Scott erfundene Jazz-Zeitalter. Die Jahre der Depression, die bei den Fitzgeralds parallel zur allgemeinen wirtschaftlichen Depression verläuft – auch wenn die der Fitzgeralds nur wenig damit zu tun hat. Und es ist dies die Zeit, die Scott schon früh prophetisch vorwegnimmt: in seinen vielen Geschichten über die traurigen jungen Männer. In seinem 1922 erscheinenden Roman „Die Schönen und die Verdammten“, in dem er das immer krisenhaftere Miteinander eines bezaubernden jungen Paars erzählt. Oder 1925 mit dem letzten Satz des Romans „Der große Gatsby“, der gut auf ihn und Zelda passt: „So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom – und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu.“ Die Zwanzigerjahre waren rauschend, Scotts Charaktere aber gebrochen: oft kreative Männer, die von ihren schönen, begabten, aber eigenwilligen Frauen zugrunde gerichtet werden.

Der Briefband „Lover!“ vermittelt vor allem den Eindruck realer Hoffnungslosigkeit und Vergeblichkeit. Kaum ein Lichtstrahl verirrt sich in die Briefe von Scott und Zelda. Immer wieder beschwören sie die guten Zeiten, immer wieder regiert eine verzweifelte Erinnerungsseligkeit: Zelda spricht ihm in einem Geburtstagsbrief ihre „tiefste unpersönlichste Dankbarkeit aus für die vielen glücklichen Zeiten, die wir zusammen verbracht haben– auch wenn es lange her ist“. Oder sie schreibt: „Die Leute fragen mich oft nach Dir: Und ich erzähle immer Geschichten von Glanz und Ruhm.“ Scott antwortet ihr unvermittelt: „Ja, es ist wirklich traurig zu denken, dass das alles vorbei ist – jedenfalls solange wir noch leben.“

Ihr Verhängnis aber beginnt schon in den Zeiten des Glücks, praktisch kurz nach ihrer Heirat im April 1920 und mit dem Erfolg von Scotts Debütroman, der ein Bestseller wird. Beide können nur schwer unterscheiden zwischen Leben und Inszenierung, zwischen Sein und Schein, zwischen dem unsteten Leben zwischen Amerika und Europa, Scotts Literatur und dem, was sie ihnen abverlangt. Zelda analysiert später in ihrem Roman: „Es gibt tatsächlich keinen größeren Materialisten als den Künstler, der vom Leben das Doppelte und auch noch Verschleiß und Unkosten zurückverlangt für alles, was er zu gefühlvollem Wucherzins geliefert hat.“

Scott ist oberster Glamourboy, Sprecher und Lifestyleberater einer Generation, die nach dem Ersten Weltkrieg die Sause machen will. Schnell, ausschweifend und auf großem Fuß leben heißt die Devise. Die aber lässt sich in Scotts Fall nur schwer mit dem ernsthaften Schreiben in Einklang bringen und zwingt ihn dazu, zahllose, mitunter einfältige, aber immer lukrative Kurzgeschichten zu verfassen. Zelda wiederum, das Glamourgirl an seiner Seite, eine Mischung aus Groupie und Riot Girl, sieht sich von Beginn an damit konfrontiert, Scott als Romanfigur zu dienen. Das schmeichelt ihr zuweilen, reizt sie auch zu Spott wie in einer Besprechung von „Diesseits vom Paradies“, die sie aus Celebrity-Gründen für eine Zeitung schreibt: „Mr. Fitzgerald scheint der Ansicht zu sein, dass man mit dem Plagiieren am besten zu Hause beginnt.“ Das macht sie aber oft genug auch misstrauisch, reizt sie zu Auflehnung und lässt sie umso intensiver künstlerischen Betätigungen nachgehen: dem Tanz, am Ende bis zur Erschöpfung, dem Schreiben von Rezensionen und Kurzgeschichten, die dann oft unter beider Namen erscheinen, bisweilen auch der Malerei.

Nach ihrem psychischen Zusammenbruch Anfang der Dreißigerjahre eskaliert der Kampf um das Recht auf die literarische Verwertung des gemeinsamen Lebens. Als Zelda ihren Roman „Darf ich um den Walzer bitten“ in nur wenigen Wochen (!) während eines Klinikaufenthalts herunterschreibt und eigenmächtig an Scott vorbei an dessen Verleger schickt, interveniert Scott an allen Fronten. Er übernimmt die Federführung, schlägt Zelda Änderungen vor, die sie sofort akzeptiert („Natürlich beuge ich mich gern allen Deinen Wünschen in Bezug auf das Buch und überhaupt alles“, schreibt sie), und empfiehlt dann großmütig eine Veröffentlichung. Er schreibt aber auch an einen von Zeldas Ärzten: „In ihrem Unbewussten existiert eine tödliche Angst davor, dass ich mit Hilfe unseres ‚gemeinsamen Materials‘ etwas sehr Gutes zustande bringe, dass ich sie daran hindere, als erste etwas Gutes daraus zu machen.“ Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen ist 1933 ein schriftlich festgehaltenes Treffen der beiden mit einem Psychiater, das zur qualvollen Lebensbilanz und zur hitzigen Abrechnung zugleich wird. Scott verlangt, sie solle endgültig darauf verzichten, Belletristik zu schreiben. „Jede Art von Belletristik?“, fragt sie, worauf er antwortet: „Wenn du ein Theaterstück schreibst, darf es nicht von der Psychiatrie handeln, nicht an der Riviera spielen, auch nicht in der Schweiz, und es muss in jedem Fall mir vorgelegt werden.“

Scott skizziert hier den Rahmen seines eigenen Romans „So zärtlich ist die Nacht“, an dem er fast neun Jahre sitzen soll, den er fast zwanzigmal umschreibt und in dem nicht zuletzt große Teile von Zeldas Krankengeschichte verarbeitet sind. Trotz akzeptabler Resonanz auf das Buch geht es mit dem schwer alkoholkranken Scott stetig bergab. Die 1936 veröffentlichten „Crack-Up“-Essays, in denen er bekennt, ein Schriftsteller zu sein, der nicht mehr schreiben kann, geben davon erschreckende Kunde. Mangels Nachfrage wird „Der große Gatsby“ aus dem Verlagsprogramm genommen und nicht mehr nachgedruckt. Und mühsamst kämpft Scott neben der Hollywood-Lohnschreiberei mit seinem unvollendet gebliebenen Roman „Der letzte Taikun“, den „ich aus mir ausgrabe wie Uran – eine Unze pro Tonne verworfener Einfälle“, wie er Zelda schreibt.

Was am Ende bleibt, sind Erinnerungen. Die Beziehung basiert gerade noch auf der Isoliertheit Zeldas und dem schuldbewussten Verantwortungsgefühl Scotts – auch der Tochter Scottie gegenüber, dem einzigen Kind der beiden. Ihr Umgang miteinander ist freundlich, respektvoll, in Zeldas Fall fast unterwürfig. Ihm jedoch gilt bald der Nachruhm, seine Romane und Erzählungen werden zu Klassikern der amerikanischen Literatur. Nachdem Zelda 1948 bei einem Brand in einer Nervenklinik ums Leben gekommen ist, dauert es noch viele Jahrzehnte, bis auch ihr Name wieder zu leuchten beginnt. Bis sich zumindest die Erkenntnis durchsetzt, die Scott in einem seiner letzten Briefe skizziert: „Oh Zelda“, schreibt er, „wir waren immer ein einziger Mensch, und ein bisschen wird es immer so bleiben.“

Zelda war seine Muse, sein Modell, vielleicht auch sein Teufel. Ohne sie gäbe es sein Werk wohl nicht. Ihr eigenes schriftstellerisches Werk aber bleibt schmal und ohne Wirkung: ein Roman, ein Theaterstück, ein Dutzend Kurzgeschichten, ein paar Zeitungsartikel sowie ein unveröffentlichtes Romanmanuskript von 135 Seiten mit dem Titel „Caesar’s Things“. Und eben die Briefe, in denen wir jetzt, wie es Hanns Zischler in seinem „Lovers!“-Nachwort etwas euphemistisch ausdrückt, „deutlicher und stimulierender als je zuvor ihre Stimme gleichberechtigt neben der seinen“ hören können. Was „Lover!“ mehr noch beweist: Die Faszination ihrer beider Leben ist groß – zweier Leben, die manchmal größer und übermächtiger scheinen als die Literatur, die daraus resultierte.

GERRIT BARTELS, 36, ist Literaturredakteur der taz. Ende der Achtzigerjahre bekam er von einer Freundin Nancy Milfords inzwischen nur noch antiquarisch erhältliche Biografie über Zelda geschenkt. Darin die Widmung: „Gerrit, außer dem Üblichen, weniger Krampf etc., wünsche ich mir noch, dass der nächste Berlin-Besuch netter wird“