theater
: Gott als Zeuge im „Sniper“-Prozess

Die ZuschauerInnen sind alles in dieser Inszenierung: Geschworene im Gerichtssaal, Journaille auf der Pressekonferenz, Öffentlichkeit vor dem Fernseher. Worum geht es? Um den „Sniper“-Prozess im US-Staat Virginia im Herbst 2003. Auf der Anklagebank: John Allen Muhammad. Der 42-Jährige ist einer der beiden Heckenschützen, die genau ein Jahr zuvor über einen Zeitraum von drei Wochen scheinbar wahllos auf zwanzig Menschen schossen. Zehn starben. Muhammad wurde inzwischen zum Tode verurteilt. Auf der Grundlage von Gerichtsakten, Zeitungsberichten und Interviews haben Barbara Reineke und Jürgen Runkel vom Kölner „licht!-theater“ den Fall und sein Medienecho zu einer Theatercollage verarbeitet.

Rein technisch erweisen sich die Regisseure dabei als sehr kreativ. Sie arbeiten mit Simultanbühnen: Da ist der Gerichtssaal, in dem der Staatsanwalt erdrückende Beweise vorlegt. Da ist die Zelle, in der Lee Boyd Malvo, der siebzehnjährige (mutmaßliche) Mittäter, verhört wird. Und da ist der Großbildschirm, der neben Waffenwerbung die Echtzeit-Bilder zeigt, die eine Kamerafrau während der Vorstellung macht: Die Akteure sind live auf der Bühne zu sehen und als ihr eigenes mediales Blow-up.

Inhaltlich bleibt die Inszenierung dagegen bewusst diffus: Der Angeklagte verweigert die Gerichtssprache, redet in kryptischen Gleichnissen darüber, dass nichts so ist, wie es scheint. Ein Experte spricht über den Einsatz von Heckenschützen im Krieg und vermittelt eine Ahnung vom schrecklichen Sinn solchen – das System schwächenden – Terrors, doch die konkrete Motivlage bleibt unklar. Was wieder einmal klar wird, ist der Stellenwert des Emotionalen im amerikanischen Strafprozess: Hier darf ein Staatsanwalt Gott zum Zeugen anrufen und den Angeklagten als Teufel titulieren. Aber hier darf auch ein Angeklagter von seiner süßen kleinen Tochter erzählen.

Neu ist das alles nicht und für ein Theaterstück von sehr unterschiedlichem schauspielerischen Niveau zu wenig. Ein etwas platter Anti-Amerikanismus schimmert durch diese Produktion – renitent wie der pubertierende Lee Boyd Malvo in seiner Zelle. Holger Möhlmann

„Sniper“: Gebäude 9, Deutz-Mülheimer Str. 127-129, Köln, Tel. 0221/81 46 37, weitere Vorstellungen: heute, 10. bis 12. Juni, jeweils 21 Uhr