Die Erfahrene

Karin Jöns kandidiert für die SPD. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit wird sie wieder ins EU-Parlament einziehen. Die Prognose der Abgeordneten: „Es wird härter“

„Ja, das bin ich“, sagt Karin Jöns und klingt ein bisschen genervt, aber nur ein bisschen. Denn der Mann, der da bei ihrem Wahlkampfbus in der Bremer Fußgängerzone auf sie zukommt und ihr ein Flugblatt mit ihrem Foto drauf entgegenhält, ist immerhin ein potenzieller Wähler.

„Isn’t she lovely ...“

Karin Jöns sitzt seit zehn Jahren für Bremen und die SPD im Europa-Parlament. Ihre Schwerpunkte sind Sozial- und Gesundheitspolitik. Aber dem Mann mit dem Flugblatt erklärt sie auch ganz en passant die Sache mit den Sparkassen. „Europa will uns doch schädigen“, sagt der Mann. Bevor er weiterreden kann, hat Karin Jöns schon mit dem Kopf geschüttelt und erklärt: „Also, das war so“, und dann erzählt sie, dass Sparkassen nunmal nicht pleite gehen können wegen der staatlichen Haftung, dass sie sich damit aber auf den Kapitalmarkt begeben und die besten Kredite von allen angeboten hätten, dass das nach EU-Philosophie aber nunmal nicht gehe, und dass deshalb Schluss sei mit der so genannten „Gewährsträgerhaftung“. Das komplizierte Wort sagt sie auch, aber nur einmal und spricht dann von fairen Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt und davon, dass bei der Sparkasse immer noch jeder ein Konto bekomme. Als ihr Gegenüber zum vierten Mal anfängt mit „Aber Privatbanken“, lächelt Jöns, sagt „Ich muss jetzt wirklich“ – und geht. Die Band im Hintergrund hatte ihr „Isn’t she lovely“ ohnehin gerade beendet.

Karin Jöns ist Bremens einzige Europapraktikerin mit Erfahrung. Den Bonus weiß sie zu nutzen. Und trumpft auf mit Erfolgen. Erzählt von der Umkehr der Beweislast bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – die liegt laut EU nämlich nicht mehr beim Opfer, sondern beim mutmaßlichen Täter. Oder von Unisex-Tarifen, die dank erfolgreicher erster Lesung in Straßburg nun auch im Riester-Rentengesetz verankert sind. Oder von der Selbstverpflichtung der EU-Mitgliedstaaten, in den kommenden sechs Jahren Krippenplätze für 33 Prozent aller Null- bis Dreijährigen zu schaffen – in Bremen liegt die Quote bei gerade mal drei Prozent. Ein großes Projekt von Karin Jöns ist der Umgang mit Brustkrebs. Sie ist Verfasserin eines Berichts, der im vergangenen Jahr im EU-Parlament mit großer Mehrheit angenommen wurde – Folge: Die Mitgliedstaaten sind nun aufgefordert, bis zum Jahr 2008 die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, um die Sterblichkeitsrate bei Brustkrebs um 25 Prozent zu senken.

„Damit leb’ ich“

Karin Jöns’ Auftritt in der Bremer Fußgängerzone ist flankiert von den Ex- und Noch-Bürgermeistern Hans Koschnick, Klaus Wedemeier und Henning Scherf. Das sichert ihr Aufmerksamkeit. „Ich hätte ohne die drei dasselbe gesagt“, erklärt sie trocken und nein, sie sei nicht frustriert, dass sie auf die Herren als Einpeitscher angewiesen sei. „Damit leb’ ich.“ Außerdem sei der Auftritt zu viert ihre Idee gewesen – und ein Erfolg.

Verärgert über die fehlende Aufgeschlossenheit für europäische Belange? Sie schüttelt den Kopf. „Ich bin traurig“, sagt sie mit Bedacht, „dass hier bei uns die Chance nicht begriffen wird, die ein vereintes friedliches Europa bedeutet.“ Mehr noch: „Für mich ist die Osterweiterung die Vollendung der Ostpolitik von Willy Brandt.“ Die Freude über die neue Zugehörigkeit der osteuropäischen Staaten zur EU teilen alle Europa-Interessierten. Nur nicht der gemeine Bremer. „Das regt mich auf“, sagt Karin Jöns, „dass diese Chance nicht begriffen wird.“

Europa ist unvermittelt

Der Grund dafür liegt Jöns’ Meinung nach darin, dass Europa nicht vermittelt werde. „Einmal in diesem ganzen Wahlkampf war ich mit den anderen Kandidaten in einer Schule eingeladen. Ein einziges Mal.“

99 deutsche Vertreter sitzen im EU-Parlament, sie haben 44 Sitzungswochen – der deutsche Bundestag beherbergt 602 Abgeordnete bei 21 Sitzungswochen. Karin Jöns findet, dass diese Zahlen für sich sprechen. Das heiße aber nicht, dass die Heimat keine Notiz von ihrer Arbeit nehmen müsse. Jöns beschwert sich, dass die örtlichen Medien ihre Pressemitteilungen kaum berücksichtigten. Dass sie kaum Besuch von Bremer Journalisten in Straßburg hatte, die ihre Arbeit den Bremern nahebringen könnten.

Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit wird Karin Jöns auch ein drittes Mal ins Europäische Parlament einziehen. „Es wird härter“, sagt die gelernte Journalistin und Politikwissenschaftlerin, die seit 1973 Mitglied der SPD ist. Denn die Konservativen werden stärker. Hinzu kämen massive EU-Ressentiments nicht nur bei den Abgeordneten der neuen Mitgliedstaaten. Jöns: „Damit müssen wir lernen umzugehen.“

sgi