Graue Eminenz im neuen Gewand

Oft benutzt, lange verschmäht: Beton ist als Baustoff vor allem wegen seiner Vielseitigkeit und Formbarkeit beliebt. Neue Bauwerke zeigen aber auch, dass man mit dem Material Beton eine formvollendete und skulpturale Architektur schaffen kann

VON LARS KLAASSEN

Dieses Hausmacherrezept genießt nicht den Ruf des Exquisiten, es ist Alltagskost am Bau: Man nehme Wasser, Kies, Sand, Zement und so genannte Mehle. Das Ganze wird gründlich gemischt – und das Ergebnis ist Beton. Begriffe wie „Betonkiste“ und „Betonwüste“ haften dem Baumaterial an wie ein entstellender Makel. Trotzdem erfreut es sich ungebrochen großer Beliebtheit dank vorteilhafter Eigenschaften. Und dass damit nicht nur quadratisch-praktisch, sondern auch formvollendet schön gebaut werden kann, wurde gerade in den vergangenen Jahren wieder vielfach bewiesen.

Die Neue Pinakothek in München und das „Spreeplatz“-Ensemble aus Paul-Löbe- und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus neben dem Reichstag in Berlin präsentieren nicht nur Architektur, sondern auch Beton von seiner besten Seite. Beide Projekte stammen vom Reißbrett des Münchener Architekturbüros Braunfels. „Die Formbarkeit des Materials eröffnet ein sehr breites Spektrum an Möglichkeiten“, sagt Ramsi Kusus, Projektleiter beim Bau des Lüders-Hauses. Aus diesem Grund baut das Büro Braunfels gerne mit Beton. Aber auch auf das Wie kommt es an: Auf Fertigbetonteile wurde bei den Abgeordnetenhäusern verzichtet, um durch die unvermeidlichen Fugen keinen Plattenbaucharakter zu erzeugen. Der Beton wurde vor Ort in die Formen gegossen. „Skulptural“, so Kusus, habe man am Band des Bundes gebaut. Schlicht und authentisch wurden die Gebäude gewandet. Das erfordert handwerkliche Präzision.

Die Mischung aus Wasser und Feststoffen musste bei den Sichtbetonwänden aufs Gramm stimmen. Andernfalls hätten sich die Fassaden verfärbt. „Die Schalung war eine Wissenschaft für sich“, erinnert sich Kusus. Schließlich sollten die Wände glatt werden. Das Dämmmaterial liegt im Kern der Betonwände. Beim Bau der 23 Meter hohen Säulen wurde Neuland betreten: Die unterarmdicken Eisenkerne durften sich wegen der schlanken Betonhüllen nicht überlappen. Erstmals wurden solche Stützen in einem Stück betoniert. Was man im Löbe- und Lüders-Haus sieht, ist tragendes Material. Eine simple Betonwand, mit Naturstoff verkleidet, wäre billiger gewesen. Aber eben nicht authentisch, sondern Fassadenzauber.

Auch im Preisvergleich mit anderen Materialien schneidet Beton gut ab: „Selbstverdichtender Beton“ (SVB) heißt das Zauberwort. Diese Neuentwicklung der letzten Jahre hat im frischen Zustand hervorragende Verarbeitungseigenschaften. Er fließt bis zum vollständigen Niveauausgleich allein unter dem Einfluss der Schwerkraft und entlüftet während des Fließens vollständig. So kann er ohne den Einsatz so genannter Rüttler auch den engsten Hohlraum innerhalb einer Schalung ausfüllen. Das verringert die Bauzeit erheblich. Außerdem verändert sich seine Konsistenz während der Verarbeitungsdauer nicht.

„Anfang der 90er wurde selbstverdichtender Beton erstmals in Japan angewendet. Aber nach der großen Euphorie gegen Ende des Jahrzehnts kam zunächst die Ernüchterung“, berichtet Stefan Kordts, der die Eigenschaften des Baustoffs untersucht. Das Forschungsprojekt SVB wurde vom Verein Deutscher Zementwerke in Zusammenarbeit mit der Forschungsgemeinschaft Transportbeton (FTB) initiiert und von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ (AiF) unterstützt.

Hauptproblem bei der Herstellung von SVB ist die Zusammensetzung: Kleine Abweichungen vom optimalen Wassergehalt, etwa aufgrund der schwankenden Eigenfeuchte des Sandes, können dazu führen, dass der Beton seine Fließfähigkeit verliert. Zudem bedarf Beton verflüssigender Zusatzmittel, deren Wechselwirkungen mit anderen Betonbestandteilen noch weitgehend unbekannt sind. „Ende des Jahres“, schätzt Kordt, komme der Beton auf den Markt. „Dann kann schneller und billiger gebaut werden.“

Und es gibt auch ökologische Neuigkeiten: bei Betontrennmitteln. Die werden benötigt, um den ausgehärteten Beton von der Schalung lösen zu können. „Sie erfüllen die gleiche Aufgabe wie Margarine, mit der eine Backform ausgepinselt wird, damit man den Kuchen anschließend wieder heil herausbekommt“, erläutert Albert Herrmann von der Firma Fuchs Lubritech GmbH, die an einem Projekt zum Einsatz pflanzlicher Betontrennmittel, überwiegend basierend auf nachwachsenden Rohstoffen (Pflanzenölen), in der Fertigteilherstellung teilgenommen hat. Heute werden in der deutschen Bauwirtschaft jährlich rund 25.000 Tonnen mineralölhaltige Betontrennmittel eingesetzt. Grund genug, hier nach ökologischen Alternativen zu suchen.

In dem vom Verbraucherschutzministerium geförderten und von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) unterstützten Projekt gelang die Entwicklung eines Betontrennmittels auf Pflanzenölbasis. Es weist neben ökologischen Vorteilen auch eine deutlich bessere Trennwirkung auf. Erfreulicher Nebeneffekt für die Betonwerker: Die Pflanzenölprodukte verbesserten die Luftqualität in den Fertigungshallen. Das betonharte Fazit: Mischen is possible!