Nachsitzen für Überflieger

Gegen die schulische Unterforderung von hochbegabten Kindern arbeitet ein Verein mit eigenen Kursen an. Vor allem geringer Verdienende profitieren von diesem Angebot

Verweigert ein hochbegabtes Kind die Leistung, scheint es überfordert zu sein

VON JUTTA BLUME

Während andere Kinder sich am Sonntagnachmittag auf dem Spielplatz tummeln, lernen Maja, Matthias, Julian und Damian naturwissenschaftliche Grundlagen. Nicht, weil es ein Klassenziel zu erreichen gilt, sondern weil sie in der Vorschule und ersten Klasse unterfordert sind. Die Fünf- und Sechsjährigen besuchen alle zwei Wochen einen Kurs der Hochbegabtenförderung e. V. in Berlin-Friedrichshain. Bundesweit betreut dieser Verein rund 1.000 überdurchschnittlich begabte junge Menschen zwischen 5 und 17 Jahren. Die außerschulischen Angebote reichen von Computerkursen bis hin zu Chinesisch in Gruppen von maximal sechs Kindern. Ziel ist es dabei nicht, kleine Fachgenies heranzuziehen, sondern der besonderen Denkstruktur hochbegabter Kinder entgegenzukommen.

Hochbegabung ist nach Angaben des Vereins dadurch gekennzeichnet, dass die Denkprozesse schneller und komplexer ablaufen – was in der Schule nicht unbedingt erwünscht ist. Ein typisches Beispiel: Bei der Mathearbeit wird die richtige Lösung ermittelt, die Zwischenschritte werden dagegen nur im Kopf ausgeführt. Es gibt Punktabzug wegen des fehlenden Lösungswegs. Oder die Kinder langweilen sich derart, dass sie sich nicht mehr am Unterricht beteiligen. „Wenn ein hochbegabtes Kind die Leistung verweigert, denken die Lehrer, es wäre schwach begabt“, sagt Jutta Billhardt, Gründerin und im Vorstand des Vereins. Das Resultat: Unterforderte Schülerinnen und Schüler bleiben im Extremfall sitzen.

„Hochbegabung lässt sich nur mit einem Intelligenztest feststellen“, ist Billhardt überzeugt. Mit einem Intelligenzquotienten von über 130 gilt ein Mensch als hochbegabt, statistisch sind das 2 Prozent der Bevölkerung. Die Hochbegabtenförderung nimmt Kinder mit IQ-Werten über 120 auf. Der Test ist obligatorisch, um an einem Kurs teilzunehmen. Verhindern möchte Billhardt damit, dass überehrgeizige Eltern ihre durchschnittlich begabten Kinder bei ihr abliefern und die schulische Situation dadurch reproduziert wird. Wer Schulstoff aufzuholen hat, ist bei der Hochbegabtenförderung falsch. Bei Markus Reisch, Dozent für Biologie und Chemie, lernen die Schüler unter anderem, wie ein Thermometer funktioniert oder was ein Molekül ist. Bis sie in der Schule mit dieser Materie zu tun haben werden, ist es noch lange hin. Trotzdem, so Reich, „sei es wichtig, den Schulstoff zu umschiffen“.

Die Arbeit, die ihr Verein leistet, sieht Billhardt eigentlich als Aufgabe des staatlichen Bildungssystems. In viel zu großen Klassen seien Lehrerinnen und Lehrer völlig überfordert, wenn sie neben dem Klassendurchschnitt gleichzeitig einige schwach- und einige hochbegabte Kinder unterrichten müssten. Folglich würden die Anforderungen nach unten nivelliert. Als modellhaft sieht sie dagegen das finnische und das kanadische Schulsystem, in denen die Schülerinnen und Schüler vorab getestet und dann bestimmten Befähigungsgruppen zugeordnet würden, wobei spätere Wechsel immer noch möglich seien.

Doch auch in Berlin verbessern sich die Möglichkeiten für Hochbegabte. In diesem Jahr wurde zum ersten Mal ein besonderer Förderungsanspruch für die schätzungsweise 400 hochbegabten Kinder eines Jahrgangs im Schulgesetz verankert. Im kommenden Schuljahr werden je zwei Hochbegabtenklassen an 13 Schulen eingerichtet, die in elf Jahren zum Abitur führen sollen. Die Möglichkeit, Klassen überspringen zu lassen, gab es schon immer – genutzt wurde sie von den Lehrenden kaum.

Über mangelnde Nachfrage von Elternseite kann sich die Hochbegabtenförderung nicht beklagen. Alle sozialen Schichten seien hier vertreten, besonders aber die geringer Verdienenden. „Besser verdienende Eltern haben ganz andere Möglichkeiten, ihre Kinder zu fördern“, sagt Billhardt. Kostenlos sind die Kurse der Berliner Beratungsstelle allerdings auch nicht, jedoch übernehmen die „finanziell besser gesegneten“ Eltern gelegentlich Patenschaften für ein fremdes Kind.