Von Langeweile zur Wellenlänge

Das Schülerlabor UniLab bietet seit kurzem anwendungsorientierten Physikunterricht an und will damit Schülern, Lehrern und Lehramtsstudenten den gemeinsamen Spaß am Erforschen physikalischer Phänomene in der Schule zurückgeben

VON REBECCA MENZEL

Am Anfang kommt der Gong. Bodo Marquardt hat sich vorgenommen, zumindest einigen Schülern den Horror vor dem Physikunterricht zu nehmen. Gemeinsam mit fünf weiteren Lehramtsstudenten der Physik hat er den heutigen Unterricht des UniLabs übernommen, eine Initiative der Arbeitsgruppe Didaktik der Physik an der Humboldt-Universität Berlin. Hier will man den Schülern vermitteln, dass es überhaupt nicht langweilig ist, physikalische Phänomene im Alltag auch als solche zu begreifen und zu verstehen.

Aber auch die Lehrer und solche, die es werden wollen, sollen lernen, wie man Physikunterricht spannend gestalten kann. Oberste Priorität hat die Erkenntnis, die durch eigene Erfahrung reift. Mut zum Experimentieren, zum Irrtum und zum Risiko. Schlüsselkompetenzen, die in der Schule wenig Platz finden, sollen hier trainiert werden.

Heute ist die Akustik dran. Am eigenen Leib können die Schüler begreifen, wie sich der Schall ausbreitet. Vor den Studenten sitzen etwa dreißig Jugendliche einer 10. Klasse des Ernst-Friedrich-Gymnasiums aus Treptow. Wer den Ton des Gongs als Erster nicht mehr hört, soll sich melden. Keiner traut sich. Bei Schülern der 5. bis 8. Klasse, an die sich das UniLab bisher hauptsächlich gerichtet hat, wäre das nicht passiert, sagt Marquardt später. Die sind allein von dem Klang des Gongs ganz fasziniert und haben weniger Scheu, unmittelbar Erlebtes auch mitzuteilen. Na ja, die Pubertät. Damit hat man noch nicht so viel Erfahrung.

Es ist das erste Mal, dass ältere Schüler im Labor sind. Normalerweise basteln sie Windspiele aus Aluröhren. Mit 16-Jährigen kann man nicht mehr basteln. Stattdessen wird die Klasse in Gruppen geteilt, wobei darauf geachtet wird, dass auch mal die typischen Cliquen gesprengt werden. Jede Gruppe bekommt eine andere Aufgabe. Die einen sollen Stöcke verschiedener Materialien auf ihre Klänge hin untersuchen, die anderen hantieren mit Aluröhren verschiedener Länge und sollen deren unterschiedliche Klangqualitäten analysieren. Eine dritte Gruppe findet heraus, wo man bei einer Aluröhre anfassen muss, um den „besten“ Klang zu ermitteln. Nach einer Viertelstunde setzen sich alle wieder an den großen, runden Tisch und berichten von ihren Ergebnissen.

Die Begeisterung hält sich zunächst in Grenzen. Auf Stöcke klopfen, so wirkt es, damit fühlen sich die Schüler etwas unterfordert. André Frey, ebenfalls angehender Physiklehrer, sind solche Reaktionen nicht ganz unbekannt. Während seines Schulpraktikums musste er feststellen, dass die meisten Schüler der 8. Klasse, in der der Physikunterricht in Berlin beginnt, sich nicht mehr für vermeintlich banale physikalische Phänomene begeistern können: „Der Lehrplan hängt da eindeutig hinterher.“ Gleichzeitig haben aber viele Schüler nur sehr wenig physikalische Kenntnisse. Die Lücke zwischen Sachkundeunterricht in der Grundschule und Physik als Unterrichtsfach der Oberstufe ist sehr groß, und genau da liegt das Problem. „Wir versuchen, dieses Loch zumindest ein bisschen zu stopfen“, sagt Andreas Palmer, Mitinitiator des UniLab. Im Physikunterricht wird seiner Meinung nach noch viel zu ruckartig formalisiert, statt auf die Erfahrungswelt der Schüler zurückzugreifen. Berlins Schulbehörde hat Besserung versprochen. Im neuen Schuljahr soll ab den 5. Klassen das neue Fach „Naturwissenschaften“ eingeführt werden. Der Lehrplan des Sachkundeunterrichts soll darüber hinaus stärker Themen aus Physik, Chemie und Biologie berücksichtigen. Seit Pisa wird in Berlin versucht, den naturwissenschaftlichen Kahlschlag an den Schulen, der Anfang der 90er-Jahre einsetzte, wieder rückgängig zu machen. Einfach wird das nicht.

Schulsenator Klaus Böger glaubt zu wissen, wie er einen spannenden Naturwissenschaftsunterricht gestalten würde. Die meisten Berliner Lehrer wissen es nicht. Besonders die Grundschullehrer haben über die Lerninhalte des Sachkundeunterrichts hinaus meist gar keine physikalische Bildung, bedauert Andreas Palmer. „Wir hatten schon Anfragen von Lehrern, die sich nicht getraut haben, eine Glühlampe anzuschließen.“

Im Labor sitzen die Schüler inzwischen wieder gruppenweise vor einem Laptop. Sie sollen mithilfe eines Programms Frequenzanalyse betreiben. Erstaunt stellen manche fest, wie schwer es ist, mit einer Flöte eine einzige Frequenz hinzukriegen. Wenn man in die kleinen Mikrofone spricht, spuckt das Programm ein wildes Gemisch sich überlagernder Frequenzen aus. Für eine saubere Sinuskurve braucht es schon einen Frequenzgenerator. Fasziniert dreht ein Schüler den Regler immer höher, bis sich alle die Ohren zuhalten.

Gerade hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung 1,3 Mio. Euro für das Programm „Piko“ (Physik im Kontext) frei gemacht. So soll bundesweit ein an modernen Anwendungen orientierter Physikunterricht gefördert werden. Dr. Lutz-Helmut Schön vom Fachbereich Didaktik der Physik an der Humboldt-Uni erarbeitet gemeinsam mit anderen Berliner Lehrern dafür ein neues Physik-Curriculum. Nicht mehr mit Dampfmaschinen, sondern mit bei Autounfällen wirkenden Kräften und ihrer Berechnung sollen sich die Schüler im Unterricht beschäftigen. Hier denkt man darüber nach, wie man Kindern so komplizierte Dinge wie Vektorenrechnung spielerisch beibringen kann. Herausgekommen ist ein Würfelspiel, bei dem man auf einer Art Rasterspielfeld zwei Koordinaten erwürfelt und sich dann für eine geeignete Richtung entscheiden muss. Kompliziertes kann manchmal so einfach sein.