Präemptiver Rücktritt von der CIA-Spitze

Der plötzliche Abgang des CIA-Chefs George Tenet markiert das Ende des außenpolitischen Teams der Bush-Regierung

WASHINGTON taz ■ Nachdem CIA-Direktor George Tenet trotz monatelanger Rücktrittsforderungen ausgeharrt hatte, überraschte der Zeitpunkt seines Abgangs das politische Establishment. Gründe für seinen Rücktritt gab es reichlich.

Jetzt braute sich ein neuer Sturm zusammen, dem sich Tenet nach Meinung etlicher Kolumnisten entziehen wollte: Ende des Monats wird der Abschlussbericht der Untersuchungskommission zum 11. September erwartet, der massive Kritik an der Arbeit der CIA enthält. Nach Informationen der New York Times übergab der Geheimdienstausschuss im Senat der CIA vor wenigen Tagen zudem einen geheimen Bericht mit schweren Vorwürfen zum Irakkrieg. Darin werden der CIA mangelhafte Materialsammlung durch Agenten und schlampige Analysen auf Basis unbestätigter Quellen angelastet. Eine Kurzversion des Berichts soll noch im Juni veröffentlicht werden.

Trotz des wachsenden Drucks passt der Rücktritt nicht in das bisherige loyale Verhaltensmuster von Tenet. Dieser, so wird berichtet, wollte bereits letztes Jahr mehrfach das Handtuch werfen, wurde jedoch von Bush zum Ausharren gedrängt. „Doch das strategische Kalkül des Weißen Hauses hat sich geändert“, glaubt Flynnt Everent, CIA-Spezialist am Brookings Institute in Washington. Angesichts anhaltender Forderungen, dass irgendjemand in dieser Regierung für die desaströse Irakpolitik verantwortlich gemacht werden muss, brauchte Bush einen Sündenbock. Davon ist auch Ex-CIA-Chef Stansfield Turner überzeugt: „Ich glaube nicht, dass er Bush kurz vor der Wahl hängen lassen würde, wenn man ihn nicht zum Abgang aufgefordert hätte.“

Bei all den Spekulationen und der heftigen Kritik gingen anerkennende Stimmen fast unter. So lobte Bushs Ex-Antiterrorberater Richard Clarke den CIA-Chef, der eine führungslose und demoralisierte Institution begonnen habe zu reformieren und das Augenmerk vom Ausspionieren rivalisierender Großmächte auf den Kampf gegen den Terrorismus richtete. Auch John Kerry, Präsidentschaftskandidat der Demokraten, würdigte seine Arbeit trotz „bedeutender Fehlleistungen“. Das Versagen im Irak überschatte alles, resümiert die Washington Post.

Es bleibt unklar, ob Tenets Abgang dem Weißen Haus im Wahlkampf helfen oder schaden wird. Tenets Rücktritt markiert jedoch schon jetzt, selbst wenn Bush die Wahl gewinnen sollte, das vorzeitige Ende seines engen Außenpolitik-Teams. Colin Powell und Condoleezza Rice haben angekündigt, nicht weiterzumachen. Und es ist unwahrscheinlich dass Donald Rumsfeld überlebt. So oder so geht damit möglicherweise eine kurze, aber folgenschwere außenpolitische Ära der USA zu Ende. MICHAEL STRECK