Konfusion im Kleiderschrank

In Japan laufen ihre Kollektionen am besten, in Berlin haben sie einen Shop eröffnet, um auszuloten, „wo die Stadt im Moment steht“. Die Mode des Designlabels Bless, das Ines Kaag und Desirée Heiss betreiben, ist das Gegenteil von H & M. Ein Porträt

VON JAN KEDVES

„Mode ist ein Produkt, das man kauft, um den Regeln der übersättigten Gesellschaft gerecht zu werden.“ So schrieben es die Gründerinnen des parallel in Berlin und Paris operierenden Designlabels Bless vor zwei Jahren in einem Text zu ihrer Serie „Allroundwear“. Auch wenn inzwischen jedes Modemagazin über ihre „eigenwilligen“ Kleidungsstücke berichtet und sie von der englischen i-D zu den „150 wichtigsten Modedesignern“ gezählt werden: Als Modemacherinnen verstehen sich Ines Kaag, 34, und Desirée Heiss, 33, deshalb noch lange nicht. Möbel und Make-up entwerfen sie ebenso wie Mäntel – und das nicht etwa, weil es ihre Absicht wäre, die Welt rundum in ihren Bless-Look zu wickeln, sondern um Produkte neu zu denken. Auch wenn sie sich so den zweifelhaften Ruf eingehandelt haben, „Königinnen des Antidesigns“ zu sein: Bless ist das genaue Gegenteil von H & M oder Habitat, und das ist gut so.

In ihrem Laden in der Mulackstraße, dem einzigen stationären Shop des Labels, reihen sich Produkte aus 23 Bless-„Nummern“ aneinander. „Kollektionen“ nennen sich diese Serien nicht, da sie auch schon mal aus lediglich einem Entwurf bestehen: aus Holz geschnitzte Armbanduhren, die zwar nicht als Uhr, dafür aber als Armband funktionieren; Stühle, die zunächst so aussehen, als ob man unmöglich auf ihnen sitzen könnte; Wollpullover, die an einem Ende sehr fein, am anderen Ende extra grobmaschig gestrickt sind.

So wenig Heiss und Kaag mit Berliner Trashstyle oder koketten T-Shirt-Aufdrucken gemein haben, so wenig identifizieren sie sich überhaupt mit den Orten, an denen sie gerade arbeiten. In Paris gebe es eben die besten Stoffe, erklärt Heiss, am erfolgreichsten laufe das Geschäft in Japan. „Der Shop in Berlin ist eher ein interessantes Projekt, um auszuloten, wo die Stadt im Moment steht“, verrät Kaag, die in Berlin lebt. „In Japan kaufen die Leute erst mal und schauen dann, was das überhaupt für ein Produkt ist. Hier wird alles von vorne bis hinten durchgeguckt, aber gekauft wird kaum etwas.“

Der Bonus des Firmendoppelsitzes liegt also eher darin, dass Bless von beiden Seiten mit Auszeichnungen überhäuft werden: 2002 bekamen sie den begehrten deutschen Ars-Viva-Preis, in Paris wurde ihnen letztes Jahr zum zweiten Mal der vom französischen Kultusministerium ausgeschriebene „Andam“ verliehen – inklusive stattlichem Preisgeld. Kein Grund allerdings für Heiss und Kaag, ihr stets eisern verteidigtes Fotoverbot zu lockern. „Wir haben uns sieben Jahre lang nicht fotografieren lassen, warum sollten wir plötzlich für das Moët-Chandon-Betriebsmagazin mit Champagnerflasche im Arm posieren?“, grinst Heiss spitzbübisch.

Über den Weg liefen sich die diplomierten Modedesignerinnen Mitte der Neunziger bei einem Wettbewerb in Paris. Über eine rege Brieffreundschaft festigte sich die Idee einer Marke, „die für einen qualitativen Standard von Gedankenansätzen steht, egal ob man einen Tisch macht oder ein Mittagessen kocht.“ Seit sie mit ihren „verlässlich unverlässlich“ zwischen Textil, Möbel und Accessoire umherschaltenden Produkten immer häufiger zu Ausstellungen eingeladen werden, treffen sie sich auch öfter vis à vis: Derzeit zeigen sie ihre Entwürfe in Stockholm und Paris, in Vorbereitung sind Ausstellungen in Düsseldorf, Melbourne und Hyères.

Ines Kaag, mit ihren kurzen Haaren die Burschikosere des Duos, beantwortet die seit der Gründung des Labels immer wieder gern gestellte Frage, ob Bless ihr Schaffen eher als Mode oder als Kunst sehen, mit einem Schulterzucken: „Wir wollen bestimmt nicht bewusst Konfusion schaffen, aber uns sind diese Unterscheidungen wirklich total egal.“ Fließende Übergänge spiegeln sich auch in ihren Produkten – wie der Schirmmütze, die zugleich Perücke ist, dem Staubsauger, der auch als Sessel dient, oder dem Turnschuh, dem anstelle seiner Hightech-Luftkissen eine „natürliche“ Espandrillosohle untergenäht wurde. Der Clou liegt in solch unerwarteten Übertragungen und Gleichzeitigkeiten, im – so Heiss – „Bewusstsein, dass viele Dinge prinzipiell anders anschaubar sind“. So stellen Bless-Produkte ihre Benutzer immer wieder vor die Frage: „Wie willst du mit mir umgehen?“

Die bisherige Krönung dieses Gedankens: Regalgarderoben, die wie Mobiles an Drahtseilen balancieren. Stücke mit pädagogischem Effekt, ermahnen sie doch zum bedachten Umgang mit den auf ihnen deponierten Habseligkeiten. Wer sieht schon gern seine Stereoanlage vom Möbel rutschen, weil er ein Jackett vom Bügel nimmt? Auch die Kleider für den kommenden Sommer verdeutlichen diese Unlust, Funktionen zu Ende zu designen: Die vielseitigen Unisex-Einzelteile – Sonnenhut-T-Shirts, Sweatshirt-Jacken, Sandalen-Schals – lassen sich im Baukastenprinzip zum „Extended Mix“ zusammenzippen. „Wobei die meisten Leute wahrscheinlich doch nur ein einzelnes Teil wollen und dann ihre Ruhe“, mutmaßt Kaag schmunzelnd.

Um solche Menschen nicht leer ausgehen zu lassen, führt der Bless Shop inzwischen ein völlig „unkompliziertes“ Standardteil: ein weit geschnittenes T-Shirt, bestickt mit den Gesichtszügen von Heiss und Kaag, allerdings so abstrahiert, dass selbst Freunde die beiden nicht sofort wiedererkennen. Ein Seitenhieb auf die Blitzwut des Modebusiness und zugleich ironische Brechung des eigens auferlegten Selbstdarstellungsverbots.

Diese Shirts bekommen die japanischen Touristen in der Mulackstraße dann in weißen Plastiktüten ausgehändigt, die an Müllsäcke erinnern und so großzügig bemessen sind, dass sie selbst in den Händen von Menschen überdurchschnittlicher Statur noch auf dem Boden schleifen. Unpraktisch? Ein aufgeweckter Konsument wird es als Herausforderung begreifen und die Tüte lässig über die Schulter werfen oder sie sich ums Handgelenk wickeln. Der bedachte Umgang mit Bless, er zeigt sich eben bereits beim Tragen.

Bless Shop, Mulackstraße 38. www.bless-service.de