berliner szenen Zuhältergespräche

Ware aus dem Osten

Um die Ecke eine Kneipe. Nichts Besonderes, beziehungsweise doch: sie ist so fertig, wie man es von einer Neuköllner Schultheiss-Kneipe erwartet – Holzvertäfelung, alte Spielautomaten, James-Dean-Bilder an der Wand. Nur sind die Gäste hier eben nicht restlos fertig, es ist ihnen gelungen, das gutbürgerliche Aussehen zu wahren, nicht einmal alle hier trinken, schon gar nicht aus Flaschen.

Der Wirt kennt mich, doch ich will ihn nicht kennen. Er betreibt ein Bordell im Hinterhaus. Normalerweise ist Vera hinterm Tresen oder Irmtraud. Sie sind nett, lassen blöde Sprüche der Alkoholiker an sich abprallen, schmeißen auch schon mal Typen raus. Ihretwegen ist der Laden gut. Janek dagegen ist ein Arschloch, nicht nur wegen des Bordells. Ich bestelle dennoch ein Bier, durstig nach Schwere und Schlaf. Als mir Janek das Bier hinstellt, erkenne ich den anderen Mann am Tresen, ich kenne seinen Namen nicht, doch er betreibt das Bordell ein Hinterhaus weiter. Jetzt merke ich, dass nur noch hinten jemand am Tisch vor sich hin schweigt, sonst ist der Laden leer. Janek schwätzt mit seinem, wie sagt man, Arbeitgeberkollegen? „Ich weiß nicht“, meint der gerade, „aus Bulgarien habe ich auch schon Schöne bekommen.“ „Na, die sind mir zu billig“, sagt Janek, „ich nehme weiter Polen.“ Er meint Polinnen. So reden sie weiter, Frischfleisch, Ware. Ich hänge dumm an meinem Bier. Russinnen sind zu teuer, weiß ich bald, Rumänen sind schwierige Geschäftspartner, bei Jugoslawen kann man sich auf nichts verlassen. Mir ist schlecht, doch ich kann nicht weg, die Fassungslosigkeit, der Ekel hält mich am Tresen. „Gehst du eigentlich weg, wenn du genug verdient hast?“, fragt Janek. „Klar“, sagt der andere, „Berlin ist mir zu dreckig.“

JÖRG SUNDERMEIER