Nahverkehr soll verkauft werden

Der ÖPNV im Münsterland soll auf Druck der Europäischen Union privatisiert werden. Kreise und Kommunen erhoffen sich eine finanzielle Entlastung. Arbeitnehmer befürchten weitere Kündigungen

VON HOLGER PAULER

Die Kreise und Kommunen im Münsterland sollen den Nahverkehr nicht mehr allein finanzieren. Dies schlägt ein von den Kreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf in Auftrag gegebenes Gutachten vor. Danach soll das münsterländische Unternehmen Regionalverkehr Münsterland (RVM) an einen privaten Investor veräußert werden. „Es geht dabei nicht nur um Kosteneinsparungen“, sagt Hermann Passlick, Baudezernent des Kreises Borken und Aufsichtsratsvorsitzender des RVM. Nach neuem EU-Recht müssten die „Aufgabenträger“ des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), in diesem Fall der RVM, zweigeteilt werden und zwar „in einen Verwaltungsapparat, der öffentlich bleibt und einen Anbieter, der quasi den ÖPNV abwickelt“, so Passlick. Gerade im letzteren Fall sei eine Privatisierung denkbar. Der RVM selbst wollte sich zum Thema nicht äußern. „Dies ist Sache der Kreise“, so ein Sprecher.

„Wir werden die Vorschläge in die politischen Gremien der Kreise, Städte und Gemeinden einbringen“, sagt Passlick. Bis Anfang nächsten Jahres soll eine Entscheidung über das Ob und Wie einer Teilprivatisierung fallen. Die vier genannten Landkreise sind mit 40 Prozent am RVM beteiligt. Die übrigen 60 Prozent teilen sich auf die Kommunen und Gemeinden der Kreise, sowie auf die Stadt Münster auf.

Der ÖPNV im Münsterland ist ein Minusgeschäft. Das jährliche Defizit des RVM liegt bei acht Millionen Euro – bislang mussten die öffentlichen Kassen dafür aufkommen. Die Kreise würden beim Verkauf des defizitären RVM nach eigenen Angaben zwar leer ausgehen, könnten sich allerdings eines erheblichen Kostenfaktors entledigen. „Das Gutachten sieht vor, dass der RVM billiger werden muss“, sagt Passlick, man wolle aber dafür sorgen, dass die Arbeitsplätze der Region erhalten bleiben.

Genau hier sieht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di das große Problem. „Das Gutachten der Kreise liegt noch nicht schriftlich vor“, sagt Karl-Heinz Brauer, Leiter des Fachbereichs Verkehr bei ver.di-Münsterland. „Wir wissen also nicht auf welcher Grundlage eine eventuelle Privatisierung stattfinden soll.“ Im letzten Jahr hatte sich verdi mit dem RVM auf einen neuen Tarifvertrag bis in das Jahr 2009 geeinigt. Darin war neben Lohneinbußen auch vorgesehen, dass sich der Konzern innerhalb der nächsten fünf Jahre langsam auf eine Teilprivatisierung vorbereiten könne. Um Kosten zu sparen wurden bereits 22 Stellen abgebaut. Die vier Betriebsleitungen des RVM in Ibbenbüren, Beckum, Lüdinghausen und Stadtlohn werden demnächst aufgelöst. Die Leitung des Fahrbetriebes für das Münsterland befindet sich ausschließlich im Betriebshof Ibbenbüren. Die Arbeitnehmer hatten dem Vorhaben unter der Voraussetzung zugestimmt, dass es keine direkten Entlassung gebe. Im Falle eines Verkaufs des RVM könne dies laut ver.di-Bereichsleiter Karl-Heinz Brauer aber nicht mehr ausgeschlossen werden. Dezernent Passlick dagegen verspricht, dass auch ein neuer Eigentümer an den bis 2009 geschlossenen Vertrag gebunden sei.

Sollten sich die Kreise zum Verkauf entschließen, müsste das Bieterverfahren europaweit ausgeschrieben werden. Landesweite Vorreiter waren die Niederrheinische Verkehrsbetriebe Aktiengesellschaft (NIAG), mit Sitz in Moers und die Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS) aus Siegen. Im August des vergangenen Jahres stimmte der Kreis Wesel für den Verkauf von 51 Prozent der NIAG an den deutsch-französischen Verkehrskonzern Rhenus Keolis. Wegen eines Verfahrensfehlers konnte der Verkauf allerdings noch nicht abgeschlossen werden. Die Stadtwerke Mobil GmbH (Krefeld) hatten als Mitbieter einen Nachprüfungsantrag gestellt. Nach Angaben der Bezirksregierung Düsseldorf ist dies allerdings nur eine Formsache. Der Verkauf der NIAG dürfte, wie auch der VWS demnächst über die Bühne gehen.

„Auf Dauer wird der gesamte ÖPNV den Weg der Privatisierung gehen“, sagt RVM-Aufsichtsrat Passlick. Die EU schreibe dies vor. Gestern befand sich Passlick auf einer Tagung in Köln. Dort stand die Privatisierung des ÖPNV in der BRD auf der Tagesordnung. Die Resonanz sei sehr groß gewesen.