in fußballland
: Herzenssache

Christoph Biermann über Fans und Fußball-Reporter sowie Menschen, die beides sind

Ich bin cooler geworden. Würde sogar von Abgebrühtheit sprechen, wenn man dann nicht an Würstchen denken müsste. Auf jeden Fall hat es mir nichts ausgemacht, dass mein Lieblingsklub zum fünften Mal abgestiegen ist. Inzwischen habe ich einen professionellen Abstand dazu, und bei den ersten vier Mal ist der VfL Bochum schließlich direkt wieder aufgestiegen. Außerdem spüre ich immer deutlicher die Erfahrung von mehr als drei Jahrzehnten im Ruhrstadion, selbst wenn ich längst von der Fankurve auf die Pressetribüne umgezogen bin. Ich denke, Gelassenheit ist der richtige Ausdruck.

Meine Arbeit bringt es mit sich, dass ich mich im Westen der Republik verstärkt um jene Fußballklubs kümmere, denen es gerade entweder besonders gut oder besonders schlecht geht. Also stehe ich häufiger bei Bayer Leverkusen auf der Matte, wenn sie fast die Champions League gewinnen oder wenn sie sich in die Zweite Liga zu stürzen scheinen. (Stürzt sich der VfL Bochum mal wieder in die untere Klasse, ist es hingegen keine so große Geschichte. Außer er klettert, wie in diesem Jahr, vorher noch auf das Sprungbrett des Uefa-Cups, um besonders hart aufzuschlagen.) In der abgelaufenen Saison habe ich mich mehr dem FC Schalke 04 an die Fersen geheftet, als er das Double zweiter Plätze in Meisterschaft und Pokal holte, wobei es ein Kollateralschaden dieses Vorgehens ist, dass diese professionelle Zuwendung voreilig für Herzensbindung gehalten wird.

Manch einer wird verstehen, für welches Entsetzen die Frage sorgen kann: „Wie bist du eigentlich Fan von Bayer Leverkusen geworden?“ Ganz zu schweigen von der triumphierenden Behauptung, dass ich jetzt wohl endlich Schalke-Fan geworden sei. Was bei den allgegenwärtigen Schalkisten zudem stets den nervenden Unterton von religiösen Eiferern hat, dass man zum einzig richtigen und wahren Glauben gefunden habe. Man könnte nun als Antwort einfach in höhnisches Gelächter ausbrechen, doch zusätzlich kompliziert wird die Sache dadurch, dass man im Laufe der Zeit zumeist auch noch Sympathien für jene bekommt, über die man berichtet. Von den wenigen echten Kotzbrocken abgesehen, erkennt man nämlich in Managern oder Trainern, Spielern oder Vorständen bald die Menschen in all ihren Verstrickungen, Schwächen und Geworfenheiten und wäre ein reichlich tumber Klotz, würde man angesichts dessen nicht irgendwie milder gestimmt sein. Echte Abneigung ist oft halt am besten aus der Distanz aufrecht zu erhalten.

Dennoch mag es mancher Fan des VfL Bochum für eine nicht hinzunehmende Abirrung oder gar mentales Swingertum halten, dass es schon Tage gab, an denen ich Schalke, Mönchengladbach oder Duisburg die Daumen gedrückt habe. (Zumal ein Fußballspiel mit Parteinahme anzuschauen, immer mehr Spaß macht.) Doch keine Sorge: Geht es gegen den besten aller Klubs, bin ich ideologisch absolut gefestigt und stehe damit nicht allein. Der deutsche Fußballjournalismus ist nämlich eine Armada von fest in Vereinsfarben gewickelten Reporten. Zwangsgeoutet werden soll hier niemand, aber lustig ist es schon, wenn todseriöse Kollegen sich bezüglich ihrer Klubs zu Verschwörungsthesen aufschwingen, die sie zwar voller Schwung vertreten, aber nie aufschreiben würden. Hinreißend sind die Geständnisse, dass sie den Managern ihrer Klubs Tipps gegeben haben, die sogar zu Transfers führten. Selbst zu gehässigen Diskussionen im Presseraum kann es führen, wenn reportierende Anhänger von zwei Mannschaften aufeinander treffen.

Ich freue mich übrigens über jeden Kollegen, der nach Siegen mit seligem Blick und nach Niederlagen mit roten Backen seiner Arbeit nachgeht. Eine zweite Ebene der Analyse und Distanz sollte es natürlich geben, aber mit der ersten Ebene der Wut über einen völlig unnötigen Abstieg, des Zorns über eine bescheuerte Einkaufspolitik und des Ärgers über einen sich ins Nirwana quatschenden und viel zu spät demissionierten Trainer lässt sich viel besser arbeiten und hinterher über Abstand, Gelassenheit und Coolness bramarbasieren.