„Cheeeeeeeeeeeese!“

Agfa ist schon ruiniert, Leica steht kurz davor. Es ist die Quittung dafür, dass die traditionsreichen deutschen Unternehmen recht hochmütig den Trend zum digitalen Fotografieren ignoriert haben

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Als sich der Regisseur Edgar Reitz vor etwas mehr als zwanzig Jahren daran gemacht hat, die Geschichte dieses Landes und die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts in eine epochale Fernseherzählung zu packen, wählte er als Metapher für deutsche Wirtschaftswundertugenden nicht zufällig die Optikbranche. So erzählte Reitz’ „Heimat“-Trilogie von den „Optischen Werken Simon“ aus dem Hunsrück-Weiler Schabbach. Und die erinnerten nicht von ungefähr an eine reale Erfolgsgeschichte: die der „Optischen Werke Leitz“ und der zugehörigen „Leica“-Kameras aus dem hessischen Solms.

Reitz hatte diese Metapher bewusst gewählt. Die Optik, zumal die Fotografie, symbolisierte in ihrer Mischung aus handwerklicher Präzision und physikalischer Gelehrtheit den Wissenschafts- und den Wirtschaftsstandort Deutschland: solide, präzise, deutsche Entwicklungskunst und deutsche Wertarbeit – sehr begehrt auch bei US-Soldaten 1945.

Unter den Fotokameras war Leica zwar schon seit den japanischen Produktoffensiven der Siebzigerjahre nicht mehr die erste, aber noch lange danach die distinguiertere Wahl. In der digitalen Epoche ist nun auch dies vorbei: Einzig dank einer Kapitalaufstockung um 13,5 Millionen Aktien konnte am Dienstag das Überleben der Traditionsmarke Leica gesichert werden. Aktien zu 1,70 Euro das Stück, also gerade mal ein Tausendstel des Preises einer durchschnittlichen Leica-Kamera.

Das Geschäftsjahr 2004 hatte der Konzern, der 1914 die handliche Kleinbildkamera erfunden hatte, mit einem Verlust von 15,5 Millionen Euro beendet. Vergangene Woche erst musste die Firma Agfa aus ähnlichen Gründen Insolvenz anmelden. Leica leidet vor allem darunter, dass der Paradigmawechsel hin zur digitalen Fotografie nur halbherzig vollzogen wurde – so wie die TV-Marke Loewe daran kränkelt, den Trend zum Flachbildschirm verschlafen zu haben.

Aber die hochpreisigen Kameras aus Solms könnten auch schlicht der gegenwärtigen Konsumzurückhaltung zum Opfer gefallen sein, zumal die Krise von Leica auch die Krise ihrer spezifischen, alt gewordenen Kundenschicht spiegelt: Die „Leica fürs Leben“ ist eben kein Modell mehr in einer Zeit, in der sich die Megapixel im Halbjahrestakt verdoppeln. Und in der sich der technologische Fortschritt vor allem in immer neuen Miniaturisierungen und flinken Produktwechseln zeigt.

Ähnlich wie die kriselnden Modellbahnen von Märklin ist die Leica in ihrem sturen Beharren auf Werthaltigkeit und Bewährtes ein dezidiert konservatives Produkt. Und das wird auch mit solidarischen Dia-Abenden, dem liebsten Hobby des Leica-Liebhabers, kaum mehr zu retten sein.