ERSTMALS VORBEUGENDE THERAPIEN FÜR MÄNNER, DIE KINDER BEGEHREN
: Pädophile sind keine Monster

Der Pädophile, das Monster. Unbelehrbar lauert er auf Spielplätzen, nur ein Gefängnisgitter bremst seinen Trieb. Diesem Klischee setzt die Berliner Charité nun ein weltweites Novum entgegen: Sie bietet eine vorbeugende Therapie an – damit Männer, die Kinder begehren, sich doch nicht an ihnen vergreifen.

Das Projekt ist so richtig wie überfällig, denn es markiert einen Richtungswechsel. Vorbeugen, das gilt bisher vor allem als Sache der Opfer: Kinder trainieren Tricks, um triebverirrte Erwachsene zu entlarven. Sie lernen Bestechungs-Bonbons abzulehnen, sich nicht auf Onkels Schoß zu setzen. Kinder müssen Misstrauen einüben, weil Erwachsene ihre Probleme nicht im Griff haben. So unverzichtbar dies ist – der Fokus Opfer ist nicht nur unfair, er greift auch zu kurz. Denn besser noch als jede Kinder-Schulung ist ein Tatwilliger, der sich besinnt.

Vor allem aber öffnet die Kampagne den Blick für ein oft verdrängtes Faktum: dass sich unter dem Stigma „Pädophiler“ ein breites Spektrum auffächert. Natürlich wüten dort jene Unbelehrbaren, die kundtun, das Kind habe sie verführt und den Akt genossen. Aber ebenso finden sich jene, die sich zerrissen fühlen zwischen Trieb und Moral. Sie fürchten, dass das verbotene Begehren sich irgendwann einen Weg bahnt, sie plagt die Angst, als ein zweiter Dutroux zu enden. Einige sind durchaus bereit, Pillen zu schlucken und sich dem Psychologen zu offenbaren. Das belegt der Andrang auf die Therapieplätze in der Berliner Charité. Er bezeugt, wie oft sich auch Phädophile nach Normalität sehnen, nach Lenkhilfen für eine Neigung, die zwar nicht heil-, vielleicht aber steuerbar ist.

Hier der Normalbegehrende, dort der Kindergeile, der allein dem Trieb gehorcht – dieses Weltbild ist nicht nur zu einfach. Es ist auch gefährlich. Zu Recht schalten die Initiatoren der Kampagne bundesweit Anzeigen und TV-Spots. Denn das sensibilisiert breite Massen für das Wissen: Die Pädophilen sind keine exotische Randgruppe. Sie sind mitten unter uns. Schon deshalb verdienen sie eine Chance. COSIMA SCHMITT