Störfaktor Kunst

„Diesseits“ hieß Valérie Wagners Fotoausstellung an Hamburger Gebäuden. Eins der großformatigen Werke haben Bauarbeiter eigenmächtig vor Ende der Schau entfernt. Und finden es nicht wieder

von Petra Schellen

Früher, bei den Germanen, da war alles ganz einfach. Da gab es das wundersame Areal der Allmende, und da gehörte alles jedem. Auch die Inkas sollen seinerzeit großzügig mit allgemeinem Besitztum verfahren sein; sogar Gold fand sich dem Vernehmen nach in jedem Durchschnitts-Portemonnaie.

Wie nun aber verhält es sich, wenn es heutzutage Künstler verschiedenster Genres wagen, ihre Werke im öffentlichen Raum zu platzieren? Wenn sie öffentliche Sichtachsen besetzen, ohne auch nur entfernt so unkenntlich zu sein wie die von Reinigungspersonal entfernten Fettecken des Joseph Beuys? Wenn sie stattdessen als ganz normale Plakate daherkommen, lediglich mit unauffälligen, in respektvollem Abstand platzierten Hinweisschildchen bestückt? Dann wird es schwierig mit der Besitzbestimmung, denn wer vermag da noch auf Anhieb zu sagen, wem ein solches Werk recht eigentlich gehört?

Fragen, über die sich die Hamburger Fotokünstlerin Valérie Wagner eigentlich keine Gedanken machen wollte. Im Vorfeld ihrer bis zum 31. Juli präsentierten Fotoausstellung an öffentlichen Gebäuden war sie vollauf beschäftigt mit Verhandlungen um die Anbringung an Kirchen und einigen Gebäuden in der Hafencity. „Diesseits“ hatte sie ihre auf eine 2,5 mal 5 Meter große LKW-Plane gebannten Bilder von Hamburger Ordensleuten genannt. Als Parcours waren die 13 Triptychen angeordnet, auf denen Kopf, Hände und Füße der Protagonisten zu sehen waren. Eine der Stationen: die „Harbour Hall“ oberhalb der weißen Magellan-Terrassen, von deren „Verunstaltung“ durch Skater auf diesen Seiten bereits die Rede war. Und genau hier prangt seit vorigen Donnerstag – vier Tage vor Ablauf der Ausstellung – eben nicht mehr das Konterfei der Diakonie-Schwester Gudrun Kühnel. Zunächst dachte man an eine „Queen-Mary“-bedingte Aufräum-Aktion. Doch die Welt ist profaner: Ein Handwerker habe das Bild abgenommen, war schließlich zu hören, es habe eben beim Baubetrieb gestört. Ohne Rücksprache abgeschraubt und sorgsam weggepackt wurde das Foto alsdann; man kann schließlich nicht wegen jeder Kleinigkeit nach eventuellen Besitzern fahnden. Nur leider ist das Artefakt seither verschwunden; er habe bereits alle Müllsäcke durchsucht, soll der Betreffende zu Protokoll gegeben haben. Und wenn man davon absieht, dass der zuständige Bauleiter nicht über den Vorfall sprechen wollte, bleibt doch festzuhalten, dass der Künstlerin ein Sachschaden von 1.000 Euro entstand.

Interessant auch sich vorzustellen, welches Getöse sich erhoben hätte, wäre ein H&M-Plakat auf diese Art entfernt worden. Verschwindenlassen und Nicht-Mehr-Finden trügen dann wohl kaum. Aber Kunst im öffentlichen Raum ist eben etwas anderes, hat Hamburg der Sparte doch nicht umsonst vor Jahresfrist die Hälfte der Gelder gekürzt. Kunst gehört eben allen, da kann sich jeder nehmen, was ihm gefällt – oder entfernen, was ihn stört. Bis zum gestrigen Redaktionsschluss jedenfalls hatten die Verantwortlichen das Foto nicht wiedergefunden.