Stühlerücken in Grundschulen

SchülerInnen werden seit dieser Woche in Grundschulen ganztägig versorgt. Nicht überall funktioniert die Reform: Die Verwaltungen sind überfordert, vielerorts fehlen noch Räume

VON RAFAEL BINKOWSKI

Montag war Stichtag: Seit dem 1. August müssen alle knapp 400 Grundschulen ein durchgehendes Betreuungsangebot machen. So sieht es das Kitareformgesetz der Landesregierung vor. „Hier wachsen Bildung und Betreuung zusammen“, freute sich Schulsenator Klaus Böger (SPD) bei seinem Besuch an der Bruno-Traut-Grundschule in Neukölln, die als Vorzeigeobjekt gilt. Böger verwies auf drei Zeitblöcke zwischen 6 und 18 Uhr, die von den Eltern nun „gebucht“ werden können.

Die Zahlen sind auf den ersten Blick wirklich beeindruckend: 43.000 Schüler werden an den Grundschulen betreut, 11.000 außerhalb von freien Trägern. An mehr als der Hälfte der Grundschulen wurden dafür neue Räume gebaut, zum Teil finanziert vom Bund.

Doch abseits der abstrakten Zahlen gibt es noch viele konkrete Probleme, vor allem in den westlichen Stadtbezirken. Problem eins: fehlende Planung. „Wir haben uns monatelang aufgeregt, weil wir bis jetzt nicht Bescheid wussten, wie die Reform umgesetzt wird“, kritisiert etwa Inge Hirschmann, Rektorin der Heinrich-Zille-Grundschule in Kreuzberg und Sprecherin des Grundschulverbandes. Auch die GEW-Landesvorsitzende Rose-Marie Seggelke kritisiert: „Bis Anfang der Woche war noch bei 1.000 der insgesamt eingesetzten 4.000 Erzieherinnen nicht geklärt, wo sie hinkommen.“ Auch wissen die Schulen nicht, wie viele Eltern Kinder angemeldet haben. Inge Hirschmann: „Die Bezirksverwaltungen sind mit dem Verfahren völlig überfordert.“

Problem zwei: Zeitmangel. An den meisten Schulen sind die neuen Räume für die Betreuung noch nicht fertig, frühestens im September dürfte es an allen Schulen so weit sein. „Das ist kein Problem, es gibt einen Plan B“, sagt dazu Jens Stiller, Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung. Man müsse einfach die bisherigen Klassenräume nutzen.

Problem drei: die Schülerläden. Der Senat will die Kindertagesstätten und Horte an den Grundschulen konzentrieren. Das hat in drei Vierteln aller Fälle geklappt. „Es gibt viele Modelle, in denen mit freien Trägern gut kooperiert wird“, so Stiller.

Norbert Bender hat das anders erlebt. Der Sprecher des Dachverbandes der Kinder- und Schülerläden vertritt die engagierten Eltern, die einen Verein gegründet haben, um auf eigene Faust Betreuung zu organisieren. „Das bedeutet für uns das Aus“, sagt er. „Nur wenige Schülerläden haben es geschafft, mit den Schulen zu kooperieren.“ Bislang hätten nur vier Schülerläden aufgeben müssen, doch Bender rechnet damit, dass drei Viertel aller Läden folgen. Was für die dortigen Erzieherinnen das Aus bedeutet: Sie werden nicht in den Grundschulhorten übernommen. Bender: „Das ist schon bitter, viele haben 20 Jahre dort gearbeitet.“

Eigentlich ist fast niemand grundsätzlich gegen die Betreuung an den Schulen. „Es war nur falsch, das holterdipolter einzuführen“, kritisiert Bender. „Da ist viel Porzellan zerschlagen worden, das man noch gut in den Schrank hätte stellen können.“

GEW-Chefin Seggelke kritisiert, der Senat habe die Zahl der zu betreuenden Kinder unterschätzt und sei auf die freiwilligen Initiativen angewiesen, die man gerade vor den Kopf gestoßen habe. Und die CDU hat das Thema für den Wahlkampf entdeckt: Ihre schulpolitische Sprecherin Katrin Schultze-Berndt schimpft über „ein Verbrechen an den Schülern“.

Das große Chaos an den Schulen, das viele Experten vorhergesagt haben, ist diese Woche noch ausgeblieben – auch weil in dieser letzten Ferienwoche schlicht weniger Kinder zu beschäftigen sind. „Die Nagelprobe kommt erst am Montag, wenn die Schule wieder losgeht“, sagt Inge Hirschmann. Letztlich wolle man das Beste daraus machen: „Der Wille ist da, es irgendwie zu schaffen.“