Craxis Ausstieg

■ Steigt Italien ganz aus der Atomenergie aus?

Rom (taz) - „Gar keine Zukunft“ sieht der stellvertretende Vorsitzende der italienischen Sozialisten, Claudio Martelli, mehr für die Atomenergie, und das wiegt schwer, denn Martelli ist einer der engsten Vertrauten von Regierungschef Bettino Craxi. Auch die oppositionellen Kommunisten wollen ihre markigen Beschlüsse der letzten Jahre - allesamt fürs „gründliche Überdenken“ der Atomenergie - bekräftigen. Nur die industrienahen Republikaner und Teile der mittelständischen Christdemokraten (deren Klientel Ausrüstungsaufträge für Atomkraftwerke erwartet) halten noch dagegen. Die schöne Hoffnung der Atomlobby, nach der Sommerpause könnte sich die Anti– Atom–Bewegung gelegt haben, hat sich ganz und gar nicht erfüllt. Der Grund für die schnelle Umkehr der Sozialisten - Craxi hatte noch im Frühjahr Baugenehmigungsdekrete trotz laufender Gerichtsverfahren angedroht - liegt im enormen Erfolg der Unterschriftensammlung kleiner Parteien und Umweltschützer für ein Referendum zur Abschaffung aller Atomkraftwerke in Italien. Mehr als 1,2 Millionen - notwendig sind 500.000 - gaben ihre Zustimmung zur Volksbefragung, womit sich der Erfolg des Volksentscheids bereits voraussagen läßt. Italien wäre damit das erste Land der Welt, das nach der Inbetriebnahme mehrerer Atomreaktoren wieder auf diese Energiequelle verzichtet. Konkret würde das für das Land bedeuten, daß die derzeit arbeitenden drei Versorgungsreaktoren (darunter einer vom Tschernobyl–Typ) sowie ein Forschungsmeiler abgeschaltet werden müssen und ein halbes Dutzend projektierter Nuklearanlagen entfallen. Für die gesamte Energieversorgung des Landes wäre das freilich nicht entscheidend: nur an die fünf Prozent des nationalen Energiebedarfs wird mit Atomkraft beschafft. Werner Raith Kommentar auf Seite 4