Italiens Märtyrer von vorgestern

■ Die Aufarbeitung einer unbequemen Vergangenheit Anarchisten, Faschisten, Republikaner und Sozialisten im Streit um die glorreichen Widerständler von einst

Aus Rom Werner Raith

„Ich habe“, knurrt der Ex–Abgeordnete Giuseppe DAlema, „die Hinterhältigkeit deiner Frage wohl verstanden.“ DAlema, 69, Spitzname „der Löwe“, gehörte dem italienischen Parlament mehr als 20 Jahre an und ist so etwas wie ein Bilderbuchkommunist: in den 40er Jahren Partisan, dann vom Zusammenbruch an beim PCI; sein Sohn Massimo, erst 35, ist bereits die Nummer drei der Partei. Trotz der sozusagen lupenreinen Vergangenheit paßt dem alten DAlema meine Frage ganz und gar nicht: Sie rührt an einen wunden Punkt. Ich will nämlich wissen, wie massiv der Widerstand gegen den hauseigenen, italienischen Faschismus denn tatsächlich war? „Jedenfalls lassen wir uns nicht streitig machen, daß wir die meisten Opfer der resistenza stellen“, faucht er weiter. Doch der nebulose Begriff resistenza bezieht sich in Wirklichkeit auf den Widerstand gegen die deutschen Besatzer, nach Mussolinis erstem Sturz und nach seinem Tod. Was davor an militanter Opposition gegen den Faschismus vorhanden war, darüber liegt in Italien noch immer ein dichter Nebel. Sicher, „die meisten Genossen waren doch interniert“, sagt auf unsere Frage Innenpolitik– Spezialist Ugo Pecchioli, seiner zeit ebenfalls Partisan (gegen den Hitlerfaschismus, nicht gegen Mussolini). Es stimmt: Die Parteichefs hatte Mussolini meist auf Inseln verbannt, die intellektuelle Opposition in die Berge geschickt; im Gegensatz zu Hitler war es ihm aber nützlich erschienen, die inneren Feinde überwiegend nicht abzuschlachten. So zehrten die späteren „konstitutionellen“ Parteien der Republik - vor allem Kommunisten und Christdemokraten - von ihren vom „Duce“ internierten Führern, die als Märtyrer präsentiert wurden. Gnädig konnte man so weiter darüber schweigen, wie gering die nationalen Widerstände während der Blütezeit des Faschismus (von 1922 bis 1940) waren; erst als es damit bergab ging, regte sich Opposition. Sonst gibt es nur wenig mehr zu berichten als aus Deutschland. „Was glaubst du“, erzählt mir der siebzigjährige Umberto Ciarello aus Pozzuoli bei Neapel, der 1940 erstmals gewerkschaftlichen Widerstand gegen die „Schwarzhemden“ zu organisieren versuchte , „wie wir da zunächst selbst bei unseren eigenen Genossen auf die Schnauze gefallen sind: Erst als der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, hat es dann geklappt.“ Seit dem Mussolini–Jahr 1983 (sein 100. Geburtstag) haben Historiker erstmals intensiver am Tabu zu rühren begonnen - und seither herrscht Streit, wie weit die vorfaschistischen „demokratischen“ Parteien durch Untätigkeit, Trägheit, falsche Einschätzung, Dummheit und Mitläufertum dem „Duce“–Regime Vorschub geleistet haben. Und da es bei manchem „Demokraten“ da auch dunkle Flecken gibt, erlebt Italien derzeit dasselbe Schauspiel wie die Bundesrepublik in den 60er Jahren - den weitgehenden Blackout, was die Bewältigung der fehlenden Militanz im Kampf gegen Mussolini angeht. Konsequenz des organisierten Schweigens: Altfaschisten konnten ohne große Widerstände in Cicogna nahe Arezzo ein „Institut zur Erforschung der Republik von Salo“ (so hieß die zweite Mussolini– Ära) einrichten sowie ein eigenes Duce–Museum aufbauen; erst nach mehreren Jahren Aktivität beginnt sich in diesen Tagen Widerstand zu regen. Doch trotz der Vergessensmechanismen herrscht seit einigen Monaten erstaunliche Emsigkeit in der „Aufarbeitung“ der Vergangenheit - freilich der von vorgestern. Alle, aber auch alle Parteien suchen eifrig nach Vorbildern, die in irgendeinem Widerstand gründen - und wenns der Widerstand gegen den Widerstand ist. Als im Juni dieses Jahres bekannt wurde, daß der „klassi sche“ Anarchisten–Ort Massa Carara in Oberitalien ein Denkmal für den Attentäter Gastano Bresci - der 1900 den König Umberto I. erschoß - plante, wurden der gesamte Stadtrat von den Monarchisten wegen „Rechtfertigung einer Straftat“ vor Gericht gezerrt. Und als vorige Woche die unteritalienische Gemeinde Savoia di Lucania ihren alten Namen Salvia wiederhaben wollte, stiegen die Monarchisten ebenfalls auf die Barrikaden: Der Ort hieß bis 1878 Salvia, dann verübte der Anarchist Giovanni Passannante aus dem 1300–Seelen–Ort ein Attentat auf den König. Der entging dem Anschlag, und die Gemeinde taufte sich auf den Namen des Königshauses (Savoyen) um. Viele Stadtratsfraktionen in Italien sind derzeit offenbar in tiefes Grübeln verfallen, wem sie ihr Denkmal errichten könnten - und wenn so eine Art Volksbewegung entsteht, ist auch Ministerpräsident Craxi nicht weit. Schon im Winter hatte der Sozialistenchef, sensibel für die Entwicklung, „seine“ Lösung nationaler Vergangenheitspflege präsentiert - einen Feiertag anläßlich der ersten Hissung der „Tricolore“, der republikanischen Nationalfahne, 1799. Doch da der Mailänder Craxi das grünweißrote Tuch erstmals in seiner Heimatstadt gehißt glaubte, mußte er bald einen Rückzieher machen - die Stadt Reggio nellEmilia war um etliches früher drangewesen (1798), und dort reklamierten die Republikaner des Verteidigungsministers Spadolini die gebührende Ehre für sich. So wurde denn stattdessen der Tag der Verkündung der Nachkriegsverfassung von 1946 „festa nazionale“. Doch damit ist die Denkmalssucht natürlich nicht befriedigt, und Craxi hüpfte behende erneut auf den fahrenden Zug: wenn schon die Monarchisten die Anarchisten blockieren, die Republikaner die Sozialisten und die Kommunisten allesamt sonst ringsum - wie wäre es mit einer Art „neutraler“ Gefallenen–Ehrung für Leute, die von obrigkeitsstaatlichen Mordmaschinen umgesäbelt wurden? In Mailand bombardierte z.B. 1898 der Umberto–General Beva Beccaris sein Volk - da ließe sich doch ein herrliches Monument aufrichten, das niemandem weh tut (und sich nun mit dem Namen Craxi verbinden ließe). Der Abgeordnete DAlema findet trotz alledem meine Frage nach den Gründen für den mangelnden militanten Anti–Mussolini–Kampf noch immer hinterhältig. Vielleicht weil sie von einem Deutschen kommt? „Nein. Sondern weil ich sie, verdammt noch mal, nicht beantworten kann.“