Vogelscheiße im Milchpulver

■ Salmonellenverseuchung in Hessen soll durch unhygienische Lüftungsanlagen verursacht worden sein Hessisches Sozialministerium bestätigt taz–Bericht / „Riesenschlamperei“ bei Bundesanstalt

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Während die Mitarbeiter/innen der „moha“– Trockenmilchfabrik in Hungen/ Hessen noch dabei sind, die kompletten Betriebsanlagen „bis auf die kleinste Schraube“ zu putzen, ist die Salmonellenverseuchung „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ auf eine ganz andere Ursache zurückzuführen. Wie der Trockenmilchpulverlieferant Bodo Ronzheimer, der sich Anfang August vehement für die Aufklärung des hessischen Milchpulverskandals eingesetzt hatte, gegenüber der taz erklärte, trage das Frischluftsystem der Hungener „moha“–Fabrik die Hauptverantwortung dafür, daß im großen Umfang Bakterien in die Produktionsanlagen des Werkes gelangen konnten. Ronzheimer: „Der Ansaugstutzen für das Frischluftgebläse befindet sich an der Außenwand des Gebäudes. Mit der Luft wird dort Vogeldreck angesaugt und in die Produktionshalle eingeblasen.“ Der Ansaugstutzen sei „ein beliebter Sitzplatz für Vögel aller Art“, meinte Ronzheimer weiter, „und in jeder winzigen Menge Vogelscheiße befinden sich Salmonellen“. Professor Gerhard Kielwein vom Milchhygienischen Institut der Universität Gießen verwies im Gespräch mit der taz auf Untersuchungen in Australien und England. Dort seien nach dem Auftreten von Salmonellenvergiftungen mehrere Trockenmilchpulverfabriken unter die Lupe genommen worden. In beiden Ländern kamen die Wissenschaftler zu dem Schluß, daß jeweils die Lüftungsanlagen Verantwortung für die Salmonellenverseuchungen zu tragen hätten. Diese Untersuchungen, so Kielwein, seien „in der Fachwelt allgemein bekannt und anerkannt“. Speziell zum Fall Hungen selbst wollte sich Kielwein allerdings nicht äußern, da er „nur mit der Untersuchung von Trockenmilchpulverproben beauftragt“ worden sei. Dabei seien sowohl positive wie negative Ergebnisse zu verzeichnen gewesen. Als „skandalös“ bezeichnete der Sprecher des hessischen Sozialministeriums, Peter Höbel, das Verhalten der Firma „moha“. Nachuntersuchungen des Ministeriums hätten den gestern von der taz erhobenen Vorwurf, die Firma habe seit gut zwei Jahren von laufenden Salmonellenverseuchungen in ihrer Trockenmilch Kenntnis gehabt, bestätigt. Höbel: „Wir haben bei moha Laborprotokolle gefunden, die keinen anderen Schluß zulassen. Die Firma hat die Bevölkerung hinters Licht geführt.“ Laut Sozialministerium müsse sich die Staatsanwaltschaft auch in dieser Sache mit der Firma „moha“ beschäftigen. Darüber hinaus richtete Höbel schwere Vorwürfe an die Adresse der Bundesanstalt für Landwirtschaftliche Marktordnung (BALM), die die EG–Überschüsse an Trockenmilchpulver verarbeitet und lagert. So hätte die „BALM“ Anfang August, nachdem feststand, daß rund zwanzig Personen nach Trockenmilchgenuß an Salmonellenvergiftung ernsthaft erkrankt waren, auf Nachfrage des Ministeriums die Charge 128 für „unbelastet“ erklärt. Der jüngste Vergiftungsfall in Hanau (taz von gestern) sei jedoch eindeutig auf Trockenmilchpulver aus der Charge 128 zurückzuführen. Auf Intervention des hessischen Ministeriums mußte die „BALM“ gestern eingestehen, daß es ihr „in der damaligen Hektik entgangen“ sei, daß auch die Charge 128 belastet sei. Höbel: „Das ist ein weiterer Skandal, der Folgen haben wird. Hätte die BALM seinerzeit korrekt gearbeitet, wäre das Kind in Hanau wohl nicht erkrankt.“ Höbel versicherte, daß von Experten des Ministeriums derzeit umfangreiche Ursachenuntersuchungen vorgenommen werden, die auch das Lüftungssystem des Hungener „moha“–Werkes einschließen. „moha“–Geschäftsführer Schwarz bestätigte gegenüber der taz die Existenz eines solchen Lüftungssystems, gab sich ansonsten jedoch zugeknöpft: „Es wird untersucht. Mehr kann ich im Moment nicht sagen.“ Das hessische Sozialministerium warnte ausdrücklich vor dem weiteren „Genuß“ von Trockenmilch aus der Charge 128; der Lieferant Bodo Ronzheimer warnte ausdrücklich vor dem „Genuß“ jeglicher Trockenmilch, bei der die Unbedenklichkeit nicht explizit nachgewiesen sei.