Die libysche Spur

■ Zu den Gerüchten um neue libysche Terroranschläge

„Gewisse Hinweise auf neuerliche terroristische Verstrickungen des libyschen Revolutionsführers Ghaddafi“, so munkelte man gestern in Bonn, habe der amerikanische Sonderbotschafter Walters im Gepäck gehabt. Genaues weiß man nicht, aber immerhin: Sollte in der nächsten Zeit irgendwo eine Bombe hochgehen, ist wenigstens klar, wo man nach dem Schuldigen zu suchen hat. Das Gedächtnis der Welt ist kurz, aber ein paar Monate zurück sollte es eigentlich reichen. Als Ende März eine Bombe die Berliner Diskothek „La Belle“ in einen Trümmerhaufen verwandelte, konnte US–Botschafter Burt schon einen Tag später die Schuldigen präsentieren: Der „Verrückte aus der Wüste“ sollte die Strippen gezogen haben, die die Detonation auslösten. Zivilisierte Staaten rühmen sich des Grundstzes, jeden solange für unschuldig zu halten, bis ein Gericht das Gegenteil beweist. Ganz unabhängig von der Frage, ob es legitim ist, unschuldige Opfer eines Bombenanschlags durch unschuldige Opfer eines Bombenangriffs zu sühnen, wartete Reagan natürlich nicht ab, ob die Justiz seiner Beweiswürdigung gegen Ghaddafi folgen würde. Obwohl sich die Berliner Polizei inklusive diverser westlicher Geheimdienste alle Mühe gab, muß man heute feststellen: Sie tut es nicht. Kleinlaut muß der Sprecher der Berliner Justiz zugeben, daß sie mit völlig leeren Händen dastehe. Es gibt, ein halbes Jahr später, noch nicht einmal einen Tatverdächtigen. Stattdessen geht die CIA wieder mit neuen „Hinweisen“ hausieren, die sich gegenüber drei Libanesen erst vor zwei Tagen erneut als völlig haltlos erwiesen haben. Doch was sind Beweise, wenn es darum geht, Stimmung in den USA zu machen. Kohl, so hört man, habe das eingesehen. Jürgen Gottschlich