Dioxin–Küche kalt

■ Dynamit Nobel stellt Produktion von Pentachlorphenol ein / Grüne: Ein großer Erfolg

Aus Freiburg Thomas Scheuer

Eine der umstrittensten Giftklitschen der bundesdeutschen Chemie–Branche ist trockengelegt: Am Mittwoch wurde im Zweigwerk der Dynamit Nobel im südbadischen Rheinfelden die Produktion des Holzschutzmittelgrundstoffes Pentachlorphenol (PCP) eingestellt. Doch damit ist das letzte Kapitel in der Chronik des „dynamischen“ Umweltskandals noch nicht geschrieben. Wegen ihrer Dioxinträchtigkeit stand die PCP–Küche am Oberrhein über Jahre hinweg im Mittelpunkt umweltpolitischer Auseinandersetzungen. Ausgelöst hatte die öffentliche Debatte der grüne Kreisrat Heiner Lohmann, der Anfang der 80er Jahre Pflanzen– und Wasserproben aus der Umgebung des Werkes auf eigene Faust analysieren ließ. Die Konzernleitung der Dynamit, früher eine 100prozentige Flick–Tochter, mittlerweile im Besitz der Feldmühle–Nobel–AG, bestritt den Anfall von Dioxinen und konnte sich der Deckung durch die Behörden gewiß sein. Doch im Frühjahr 1984 beschlagnahmten Staatsanwälte die Aktenbestände des Böhringer– Chemiewerks in Hamburg. Sie enthüllten, daß die Böhringer– Chemiker nach der Dioxin–Katastrophe in Seveso ihre südbadischen Kollegen vor den Gefahren des von ihnen angewandten PCP– Verfahrens gewarnt hatten - es war dasselbe wie in Seveso. Fortsetzung auf Seite 2 Spätestens jetzt wußten die Dynamit–Köche, was sie gegenüber Behörden und Öffentlichkeit weiterhin leugneten: Daß in Rheinfelden Dioxine und Furane anfielen, unter ihnen das seit Seveso berühmt– berüchtigte 2,3,7,8–TCDD. Langsam wachten die Behörden auf. Die Staatsanwaltschaft Lörrach nahm Ermittlungen wegen früherer illegaler Ablagerungen hochgiftiger Dynamit–Abfälle auf einer Industriemüll–Deponie und sogar auf einer normalen Hausmüll–Deponie in der Nähe Rheinfeldens auf. Sie stehen, wie Oberstaatsanwalt Dr. Gramlich gestern der taz mitteilte, kurz vor dem Abschluß. Erst als der öffentliche Druck immer stärker wurde, ließ sich Stuttgarts behäbiger CDU–Umweltminister Weiser vom Dynamit–Aufsichtsratsvorsitzenden vor gut zwei Jahren die jetzt voll zogene Einstellung der PCP–Produktion zusagen. Die „Schließung der größten Dioxin–Schleuder der Nation“ verbuchten die Grünen im Bundestag gestern in einer ersten Stellungnahme denn auch ganz unbescheiden als „einen der größten Erfolge grüner Entgiftungspolitik nach Böhringer.“ Als „Paradebeispiel für Konversion“ wertete Heiner Lohmann, mittlerweile Giftexperte der Grünen–Fraktion in Bonn, die Produktionsumstellung bei Dynamit. Sie zeige, „daß der von den Grünen geforderte Umbau der Chemieindustrie machbar ist.“ In der Darstellung des Konzerns ist jedoch von einer „Umstellung“ keine Rede. Die PCP– Produktion sei nicht „umgestellt“ worden, sondern „sie hat ein Ende gefunden,“ erläuterte ein Sprecher der Konzernzentrale in Troisdorf bei Bonn gestern der taz den feinen Unterschied. Schon seit Jahren habe die langfristige Unternehmenspolitik den Ausbau der für die expandierende Halbleiterindustrie wichtigen Silicium–Chemie im Rheinfeldener Werk vorgesehen. Durch sie könnten die 70 Arbeitsplätze im bisherigen PCP–Bereich erhalten bleiben, fielen Neueinstellungen jedoch flach. Nach wie vor sehe die Firma in der PCP–Herstellung selbst keine Umweltbelastung. Durch eine verfeinerte Analytik seien lediglich im Abfall mittlerweile Giftspuren nachzuweisen. Warum dann das „Aus“ fürs PCP? „Die umweltpolitische Auseinandersetzung,“ so wird in Troisdorf freimütig eingeräumt, „hat letztendlich dazu geführt, daß wir es - auf gut deutsch gesagt - leid wurden.“ Höhere Schadstoffimmissionen durch den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken können durch politisch gewollte verstärkte Umweltschutzauflagen und zum Beispiel durch ein Tempolimit in ver antwortbaren Grenzen gehalten werden. Der kurzfristige Ausstieg sei einem mittelfristigen (bis Anfang der 90iger Jahre) oder gar langfristigen Ausstieg bis zum Jahr 2010, vorzuziehen, weil dann ein positiver gesamtwirtschaftlicher Effekt durch verstärkte Innovationen und Investitionen im Bereich Energiesparen und regenerativer Energieträger zu erwarten sei. Nicht gerechnet hat man in Bonn damit, daß diese Aussagen im Grundsatz auch von dem RWI– Gutachten geteilt werden. Bei einem langfristigen Ausstieg werde der Strompreis nicht steigen, weil sich „sinkende Kapitalkosten (für Kohlekraftwerke) und steigende Brennstoffkosten nahezu“ ausgleichen. Die Umweltbelastungen seien „vernachlässigbar gering“. Aber auch ein kurzfristiger Ausstieg ist nach dem RWI– Gutachten technisch und finanziell realisierbar. Risiken für das Wirtschaftswachstum, für Arbeitsplätze und für die Versorgungssi cherheit halten sich danach in Grenzen. Verständlich, daß nach diesem unerwarteten Ergebnis der Bangemannschen Initiative die Atomlobby in Bonn mobil macht. Kanzler Kohl zeigte sich in einer Kabinettssitzung verärgert und rüffelte seinen Wirtschaftsminister, er mische sich in die Kompetenzen des Umwelt– und Forschungsministers ein. Graf Lambsdorff, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP, entdeckt überraschend sein „grünes“ Herz. In der Hamburger Morgenpost beklagt er sich nun darüber, daß der Ausstieg aus der Atomenergie zu mehr Umweltbelastungen führen werde. Natürlich fürchtet der Graf auch seine Klientel und fragt: „Welches Vertrauen können Investoren dann noch in den Produktionsstandort Bundesrepublik setzen?“ Ganz grün geriert sich auch Bundesforschungsminister Riesenhuber, der an die politische Vernunft appelliert, die Luftreinhaltepolitik nicht durch das Abschalten von AKWs in Frage zu stellen. Für seinen Parteikollegen, den wirtschaftpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Matthias Wissmann, ist langfristig dagegen ein „deutlich geringerer Anteil an der Stromproduktion“ durch Atomenergie vorstellbar. Bundeswirtschaftsminister Bangemann interpretiert die Gutachten sehr eigenwillig, indem er die Kernaussagen über die Machbarkeit eines Ausstiegs einfach ingnoriert. Nun sei bestätigt, daß ein kurzfristiger Ausstieg nicht möglich sei und auch ein langfristiger zu gravierenden negativen Auswirkungen für Wirtschaft und Wohlstand führen werde. Umweltminister Wallman will trotz der Gutachten „nicht opportunistisch“ handeln und beim Atomprogramm der Bundesregierung bleiben. Der energiepolitische Sprecher der SPD, Volker Hauff, sieht die SPD–Ausstiegspläne insbesondere durch das RWI–Gutachten bestätigt.