Atombossen aufs Dach gestiegen

■ Stromkonzern Badenwerk wegen Geschäften mit Betreibern des AKW Cattenom besetzt

Aus Karlsruhe Felix Kurz

60 Mitglieder von saarländischen, rheinland–pfälzischen, luxemburgischen und lothringischen Bürgerinitiativen gegen das AKW Cattenom hielten am Samstagnachmittag für mehrere Stunden das Dach des Verwaltungsgebäudes Stromkonzerns Badenwerk AG in Karlsruhe besetzt. Die Besetzer wollten mit dieser Aktion aufmerksam machen auf die Geschäftsbeziehungen zwischen den deutschen Badenwerken und dem Betreiber des Atomkraftwerks in Cattenom, dem französischen Staatskonzern Electricite de France (EdF). So haben die Badenwerke mit der EdF vertraglich bereits seit 1979 Strombezugsrechte über 5 % der Leistung der Cattenom–Reaktorblöcke vereinbart. Fortsetzung auf Seite 2 Die neue Betreiber–Informationspolitik entwickelt sich derweil zum Rohrkrepierer. Eindrucksvoll stellen die „THTR–Wochenberichte“ das Wort vom „Pannenreaktor“ unter Beweis. Viermal mußte der Atommeiler in den letzten vier Wochen „unplanmäßig abgeschaltet“ werden. „Kein Kommentar“, hieß es dazu aus dem Ministerium. Zwei Mitglieder der Sonderkommission gaben sich allerdings gesprächig. Georg Pitz und Hans Adolf Ritter erläuterten lange vor der Sommerpause öffentlich „Untersuchungsergebnisse“. Bedienungsfehler bei der Beschickungsanlage des Kugelhaufenreaktors und Nichtbeachten des Betriebshandbuches seien „verantwortlich für die Ereignisse Anfang Mai“. Schlampereien der Betriebsmannschaft führten bekanntlich auch im Juni dazu, daß vorschriftswidrig nicht alle Not stromaggregate betriebsbereit waren. Ob gefährliche Nachlässigkeit des Personals allerdings alleinige Ursache für den Störfall darstellt, ist mehr als zweifelhaft. Längst sind schwerwiegende Konstruktionsmängel des THTR bekannt. Aber es fehlt jegliche Erläuterung zum Beispiel über die Auswirkungen der nicht vorausberechneten, extrem hohen Kugelbruchrate. Statt einer Kugel in zwei Jahren, wurden 800 in sieben Monaten beschädigt. So muß vermutet werden, daß es unerwartete Probleme mit den Temperaturen im Reaktorkern gibt. „Lückenlose Aufklärung“ versprach Minister Jochimsen. Demzufolge müßte der Bericht auch exakte Ergebnisse über die tatsächlichen THTR–Emissionen am 4. Mai enthalten. Bisher gibt es nur einen rechnerischen Wert von der VEW, wonach im Tschernobyl– Regen höchstens ein Becquerel von 50.000 dem THTR–Störfall geschuldet ist. Dagegen stehen die jetzt ausgewerteten Bodenproben des Dort munder Radiologen Dr. Grönemeyer, die größtenteils von der Düsseldorfer Zentralstelle für Sicherheitstechnik bestätigt werden. Unter Berücksichtigung der Halbwertzeiten strahlten demnach am 4. Mai allein 270.000 Becquerel Jod 131 pro Quadratmeter am THTR, mehr als das Fünffache von dem, was offiziell bekannt gegeben wurde. Gegenüber veröffentlichten Maximalwerten von einem Becquerel Strontium 90 stellte Grönemeyer am THTR 250 Bq/m2 fest. Mit zwei Leitern und einigen Transparenten waren die Demonstranten gegen Mittag auf das allerdings verlassene und etwas abseits gelegene Vordach und anschließend auf ein Bürogebäude des Stromkonzerns in Karlsruhe geklettert. Nach dem Motto „Wir steigen den Atombossen aufs Dach“ machten die AKW–Gegner klar deutlich, wer bei den Badenwerken ihrer Meinung nach den Ton angibt. „In diesem Hause Baden herrschen die Nukleokraten“, hieß es auf einem Transparent, und auf einem anderen konnte man lesen: „5 % Billigstrom aus Cattenom, 100 % Restrisiko.“ Die Polizei hielt sich zunächst zurück. Nachdem das Badenwerk allerdings Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt hatte, versuchten die Beamten beim Abzug der Besetzer deren Personalien festzustellen. Zur Begründung sagte ein Sprecher, daß man mit der Aktion der Forderung an die Badenwerke Nachdruck verleihen wolle, auf den vereinbarten Strombezug aus Cattenom zu verzichten. Die Badenwerke, die zu den acht größten Energieversorgungsunternehmen der BRD gehören, sind an deutschen, schweizerischen und französischen Nuklearanlagen intensiv beteiligt. Im Atomstaat Frankreich kooperieren sie mit der EdF in Cattenom. Am schweizerischen AKW Kaiseraugst sind sie ebenso beteiligt (7,5 %) wie an den deutschen Atommeilern Philippsburg (50 %) und Obrigheim (28 %).