I N T E R V I E W „Gerechtigkeit, nicht Rache“

■ Roberto Garreton, chilenischer Strafverteidiger über die Justiz seines Landes

Bereits drei Monate nach dem Militärputsch Pinochets vom September 1973 setzte sich Roberto Garreton im Comite pro Paz (Komitee für den Frieden) für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Seit 1976 ist er Anwalt der Vicaria de la Solidaridad, der Menschenrechtsorganisation des chilenischen Episkopats und wohl bedeutendsten Hilfsorganisation für die Opfer der Diktatur. In über 200 Verfahren mit politischem Hintergrund trat er als Verteidiger vor Zivil– und Militärgerichten auf. Garreton ist Christdemokrat, 1973 war er politischer Gegner der Unidad Popular von Salvador Allende. taz: Seit 13 Jahren verteidigen Sie Opfer des Regimes. Welches sind die wesentlichen Schwierigkeiten, mit denen Sie bei der Ausübung des Berufs konfrontiert sind? Roberto Garreton: Es ist sehr schwierig, jemanden zu verteidigen, der nicht weiß, wessen er angeklagt ist. Das einzige, was ich dann erreichen kann, ist, daß sie zugeben, daß diese Person in Haft ist. Dann werden wir ständig bedroht. Hector Salazar, der die Verteidigung der beiden im Juli von Soldaten verbrannten Personen übernommen hat, erklärte Journalisten gegenüber seine Sicht des Falls. Nun hat er eine Klage wegen Beleidigung der Streitkräfte am Hals. Vor einem Monat hat man Enrique Palet, dem Sekretär der Vicaria ein großes Paket nach Hause geschickt. Es enthielt einen Schweinekopf mit einem Einschußloch mitten auf der Stirn. Haben Sie als Anwalt in all den Jahren einen juristischen Erfolg erzielt? Während der 13 Jahre Diktatur ist es uns nie gelungen, durchzusetzen, daß jemand wegen Folter verurteilt wurde. Aber - das ist sehr wichtig - wir haben Fortschritte in Ermittlungen gemacht, und am Tag, an dem die Demokratie zurückkehrt, wird der Prozeß wieder aufgenommen. Es gibt in Santiago im Moment einen spektakulären Prozeß, bei dem ich Verteidiger der Opfer bin. Es geht um das „Verschwinden“ von zehn Mitgliedern der Kommunistischen Partei im Dezember 1976. Unter Angabe präziser Einzelheiten konnte der Untersuchungsrichter Carlos Cerda nachweisen, daß sich innerhalb der Streitkräfte ein spezielles Kommando herausgebildet hatte, das entführte, verhörte, folterte, mordete und verschwinden ließ. 40 Personen dieses Kommandos sind mit Namen und Vornamen identifiziert und werden der Bildung einer kriminellen Bande beschuldigt. Unter ihnen befindet sich auch ein ehemaliges Junta–Mitglied, Ex– Luftwaffenchef Gustavo Leigh. Cerda fordert nun, daß auch gegen ihn Anklage erhoben wird. Das ist für uns natürlich schon ein Erfolg, auch wenn wir dann letztlich die nächste Etappe verlieren werden. Dann kommt nämlich die Militärjustiz und sagt: Halt, das gehört in unsere Kompetenz. Sie wird sich der Sache annehmen, und die Beschuldigten werden dann unter das Amnestie–Gesetz fallen, das die Diktatur erlassen hat, um sich ihre eigenen Verbrechen (von 1973 bis 1978) zu verzeihen. Das Problem besteht also in den Militärgerichten. Diese unterstehen dem militärischen Oberkommando und das ist seit 1973 die Exekutive. Soll man die chilenischen Militärs amnestieren, wenn sie, wie ihre Kollegen in Uruguay, unter dieser Bedingung bereit sind, zurückzutreten? Für Teile der Opposition sind die Menschenrechte kein vorrangiges Thema. Für sie ist ein Übereinkommen mit den Militärs, das deren Abtritt sichert, auf jeden Fall akzeptabel. Wir aber, die immer in engem Kontakt mit den Opfern gestanden haben, können das nicht akzeptieren. Es geht nicht darum, Rache zu üben, sondern Gerechtigkeit walten zu lassen. Es hat fürchterliche Verbrechen gegeben, und in irgendeiner Form muß dafür bezahlt werden, in einer Form, die es ihnen erlaubt, ihre Würde zu bewahren. Das Gespräch führte Thomas Schmid