Trittbrettfahrer der Weltkonjunktur

■ Haushaltsdebatte im Bundestag / Stoltenberg stolz auf sich / Apel: Regierung betreibt Strohfeuer–Politik / Grüne: Finanzminister ist Kassenwart, kein Ökonom / FDP vermißt Rau

Aus Bonn Oliver Tolmein

Mit Milliardenbeträgen wurde anläßlich der gestrigen Haushaltsdebatte im Bundestag jongliert, als ginge es um nichts. Finanzminister Gerhard Stoltenberg, der in seiner über einstündigen Rede den Entwurf des Bundeshaushalts 1987 und den mittlefristigen Finanzplan bis 1990 vorstellte, rühmte sich, bei einem Anstieg des Bruttoszialproduktes auf 1.950 Mrd. DM 1986 (1982: 1.600 Mrd. DM) nur eine Neuverschuldung von 23 Mrd. DM verzeichnen zu müssen. Der Stellvertretende Vorsitzende der SPD– Fraktion, Hans Apel, der an diesem Nachmittag eine „Generalbrechnung“ mit der Bonner Wende geplant hatte, warf der Regierung dagegen vor, daß die Gesamtverschuldung des Bundes nach Stoltenbergs Plänen auf 514 Mrd.DM ansteigen soll. 1982 habe sie noch bei 308 Mrd. DM gelegen. Dies wiege um so schwerer, als die Bundesbank, anders als Anfang der achtziger Jahre, derzeit jährlich Gewinne in Höhe von über 10 Mrd. DM abwerfe, die alle in den Haushalt eingeplant würden. Auch Jo Müller von den Grünen bestritt, daß Stoltenberg eine Konsolidierungspolitik betreibt: Die Neuverschuldung sei zum einen durch die Bundesbankgewinne, zum anderen durch die drastische Kürzung der Sozialleistungsansprüche reduziert worden. Dafür würden durch Umweltschäden jährlich 103 Mrd. DM an „Volksvermögen“ vernichtet: „Wären sie Ökonom und nicht nur Kassenwart der Nation, dann hätten Sie die Steuergelder so investiert, daß diese Schäden minimiert werden“. Bei Jo Müller, der als vierter Redner ans Pult trat -, Frauen kamen an diesem Nachmittag nicht zu Wort - hatte sich der kleine Saal des neuen Ersatzparlaments aber schon erheblich geleert: Ge rade noch vier SPD– Abgeordnete und ein halbes Dutzend aus der Koalition lauschten seinen Ausführungen. Voll war es nur während der Auseinandersetzungen zwischen Hans Apel und Gerhard Stoltenberg. Deren - oft durch laute Zwischenrufe und kleine Tumulte unterbrochene - Reden standen ganz im Zeichen des Wahlkampfs. Stoltenberg betonte vor allem seinen Erfolg bei der Inflationsbekämpfung. Den entscheidenden Schub für die von ihm propagierte „Modernisierung der Volkswirtschaft“ erwarte er sich allerdings von einer umfassenden, nächste Legislaturperiode anzugehenden Steuerreform. Apel konzentrierte sich darauf, die Versäumnisse und nicht eingehaltenen Versprechen der Regierung in der Beaschäftigungspolitik herauszustellen. Die mittelfristige Finanzplanung Stoltenbergs belege, daß auch bis in die neunziger Jahre hinein mit Arbeitslosenzahlen von über zwei Millionen gerechnet werde. Vertuscht werden solle das dadurch, daß die Regierung seit geraumer Zeit lieber als Arbeitslosen– die Beschäftigtenzahlen veröffentliche. Und die wenigen Arbeitsplätze, die tatsächlich neu geschaffen worden seien, seien Ausfluß der von den Gewerkschaften erkämpften Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Im Welthandel sei die Position der BRD schwach: Sie profitiere von der allerdings jetzt zu Ende gehenden Aufschwungsperiode in den USA und habe sich damit zum „Trittbrettfahrer der Weltkonjunktur entwickelt“. Gelinge es nicht, sich von der US–Konjunktur durch „eigene Anstrengungen unabhängig zu machen“, wäre jeder vierte Arbeitsplatz gefährdet. Aber Apel und Stoltenberg hatten auch einen kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den Jo Müller hinwies: Alles, was mit Umwelt zu tun hat, kam in ihren Ausführungen, die sonst so viel streiften, überhaupt nicht vor.