Massenrazzien in Chile

■ Festnahmen von Priestern in Santiago / Versammlungsverbot erlaubt nur noch Familienfeiern / Oppositionszeitungen verboten / Reuter–Büro geschlossen

Santiago (afp/ap/dpa/taz) - In zahlreichen Armenvierteln der chilenischen Hauptstadt haben die Militärs nach der Verhängung des Belagerungszustandes Massenrazzien durchgeführt. In La Victoria, einem Viertel, das sich bei den Protesttagen immer wieder durch seine besondere Militanz hervorgetan hat, wurden drei französische, zwei US–amerikanische und ein chilenischer Priester verhaftet. Augenzeugen berichteten, Polizisten hätten mindestens zwei von ihnen Kolbenschläge versetzt, als sie verlangt hätten, die Haftbefehle zu sehen. Aus einer spontan zusammengelaufenen Menschenmenge seien Steine geworfen worden, woraufhin Soldaten Warnschüsse in die Luft abgegeben hätten. Soldaten hätten alle Bilder, Fotos und Kunstgegenstände aus dem Pfarrzentrum mitgenommen und vor ihrem Abmarsch in die Wand geschossen, berichteten Pfarreiangehörige. Unter den festgenommenen Geistlichen befindet sich auch Pierre Dubois, der 1984 die Nachfolge des erschossenen Priesters Andre Jarlan angetreten hatte und sich immer um eine Vermittlung zwischen den Sicherheitskräften und den Bewohnern seines rebellischen Viertels bemüht hatte. Noch am Montag hat die Diktatur sämtliche Versammlungen bis auf weiteres verboten. Familienfeiern seien allerdings erlaubt, hieß es aus offizieller Quelle. Die bereits vor Ausrufung des Belagerungszustandes angekündigte Massendemonstration von Pinochet–Anhängern für (gestern) Dienstag wurde nicht abgeblasen. Sechs regierungskritische Pu blikationen wurden geschlossen: Die Zeitschriften Cauce, Analisis, La Bicicleta, Apsi, Fortin Mapocho und die christdemokratische Wochenzeitung Hoy. Der britischen Nachrichtenagentur Reuter wurde die Tätigkeit in Chile bis auf weiteres untersagt. Innenminister Ricardo Garcia begründete diese Maßnahmen mit der „inneren Erschütterung des Landes“ nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf den Staatschef General Augusto Pinochet, bei dem sieben Leibwächter getötet, der Diktator selbst aber nur leicht verletzt wurde. Inzwischen hat der Auslandssprecher der Patriotischen Front Manuel Rodriguez (FPMR) in Madrid, Patricio Mans, bestätigt, daß der Anschlag auf das Konto seiner Organisation gehe. Vier Männer, die eine Petition in der Botschaft der Niederlande abgeben wollten, wurden gewaltsam aus Autos der diplomatischen Vertretung gezerrt und verhaftet. Sie seien verdächtig, das Attentat auf Pinochet ausgeführt zu haben, hieß es. Die Niederlande hat gegen die Verletzung der diplomatischen Immunität protestiert. Wie das Außenministerium mitteilte, hat der chilenische Außenminister del Valle inzwischen erklärt, die Männer hätten nichts mit dem Anschlag zu tun und würden so bald wie möglich freigelassen. Fortsetzung auf Seite 6 Die Bischofskonferenz, der gewerkschaftliche Dachverband CNT und die 13 Parteien, die den „Acuerdo nacional“, einen Pakt zur Unterstützung einer etwaigen Übergangsregierung unterzeichnet haben - es sind vor allem Parteien der Rechten und des Zentrums - haben das Attentat auf General Pinochet verurteilt und den raschen Übergang zur Demokratie gefordert. Das Linksbündnis MDP hat sich offiziell noch nicht geäußert. Die US–Regierung hat den Anschlag auf den chilenischen Präsidenten General Augusto Pinochet am Montag verurteilt, gleichzeitig aber auch die Verhängung des Belagerungszustandes in Chile beklagt. Der stellvertretende US–Außenminister für interamerikanische Angelegenheiten, Elliott Abrams, erklärte in einem Interview mit dem US–Magazin Newsweek, es bleibe den USA kaum noch eine andere Wahl als Wirtschaftssanktionen gegen Chile, um dieses Land zu Reformen im Bereich der Menschenrechte und im Hinblick auf einen Übergang zur Demokratie zu bewegen. Hierbei könnte es sich um ein amerikanisches Veto gegen neue Weltbank–Kredite für Chile handeln. Siehe Kommentar Seite 4