Diktator Pinochet sammelt seine Schäfchen

■ Zehntausende von Pinochet–Anhängern versammelten sich am Dienstag in Santiago, um für den Diktator zu demonstrieren Die Beschäftigten der staatlichen Unternehmen waren durch Anwesenheitslisten zur Teilnahme gezwungen worden

Aus Santiago Iris Stolz

„El pueblo unido jamas sera vencido“ (das vereinte Volk wird nie besiegt werden). Der alte Kampfslogan der Unidad Popular von Salvador Allende tönte am Dienstag immer wieder durch die Alameda, die Hauptstraße Santiagos. Aber wer nun meint, daß Pinochet gestürzt wurde, der irrt sich. Diejenigen, die die Parole gerufen hatten, trugen stolz das Portrait ihres Präsidenten vor sich her. Und ebenso wie bei den Protesttagen, hieß es auch bei dieser Demonstration: „Asesinos!“ (Mörder). Gemeint waren die Attentäter, die linke Guerillaorganisation „Frente Patriotico Manuel Rodriguez“. In Chile findet ein Kampf um die Begriffe statt: Volk, Mörder, Demokratie, Freiheit, Wahrheit. Sieben Stunden lang, von drei Uhr nachmittags bis zehn Uhr abends, marschierten Chilenen am „Altar des Vaterlandes“ vorbei, wo Pinochet und seine Frau auf einer Tribüne saßen und sich gelegentlich zum Gruße erhoben. Ein Animateur wurde nicht müde zu wiederholen: „Wir sind die Mehrheit. Die ausländischen Journalisten sollen genau hinschauen und ihrem Land sagen: Die Mehrheit ist mit dem Präsidenten. Die Mehrheit ist für eine solide Demokratie, die uns erlaubt, in Frieden zu leben.“ Auf zwei Millionen schätzt Hernan Nunez, Koordinator des Aufmarsches, die Zahl der Demonstranten. (Die Agenturen sprechen von 40.000 bis 100.000, A.d.R.) Dies bedeutet nach seiner Meinung, daß die Regierung bei jedweder Maßnahme mit genügend Unterstützung des Volkes rechnen kann. Als wollten die Demonstranten seine Aussage bestätigen, war immer wieder zu hören: „Pinochet, Pinochet, Mano dura, Pinochet“. (Pinochet, harte Hand). Der Präsident fühlt sich bestätigt. In einem Interview mit dem nationalen Fernsehen kündigte er ein Plebiszit an, das über den Erlaß von Gesetzen zur Bekämpfung des Terrorismus entscheiden soll. „Ich war immer überzeugt“, so Pinochet, „daß die Chilenen Freiheit, Ordnung und Arbeit wünschen.“ Der Präsident ist nicht allein, das hat diese Demonstration gezeigt. Die Polizei hatte zu tun, um die Masse zurückzuhalten, die die Absperrung in Richtung Pinochet durchbrechen wollte. Die Journalisten wurden lautstark ermahnt: „Schreibt keine Lügen, schreibt die Wahrheit!“. Aber in Chile hat zur Zeit jeder eine andere Wahrheit. Viele der Demonstranten waren gekommen, weil sie Pinochet lieben. Ein Jugendlicher aus dem reichen Viertel Las Condes beschrieb, wie schön es ist, eine solche Einheit zu fühlen. „Eine konstitutionelle Diktatur, wie wir sie haben“, so meinte er, „ist die beste Form, ein Land wie Chile zu entwickeln.“ Aber auch die armen Viertel waren präsent. Eine 60jährige Wäscherin behauptete: „Unter keinem Präsidenten ist es uns besser gegangen. Pinochet hat hier Ordnung geschaffen, das ist sein größter Verdienst“. Die Politiker seien nicht mit ihm einverstanden, so die alte Frau weiter, weil es jetzt keinen Senat mehr gebe und sie deshalb arbeitslos seien. In den Seitenstraßen parkten endlose Reihen von Bussen aus dem ganzen Land. In einigen saßen Leute. „Warum seid ihr hierhergekommen, wenn ihr doch nicht demonstriert?“ frage ich einen Jungen. „Sag ihr die Wahrheit“, ermahnen ihn zwei Frauen. „Nun“, stottert er, „unser Arbeitgeber ist der Staat, und es werden Anwesenheitslisten geführt. Wer heute nicht dabei ist, der läuft Gefahr rauszufliegen. Außerdem haben wir als Kompensation freie Tage angeboten bekommen, manche dürfen zwei, andere sogar fünf Tage blau machen.“ Im Bus sitzen Arbeiter und Arbeiterinnen der staatlichen Beschäftigungsprogramme PEM und POJH. Wer in ihrem Rahmen Arbeit erhält, verdient pro Monat 3.000 bzw. 5.000 Pesos (30 bzw. 50 Mark) für 35 Wochenstunden Arbeit. Ich mache die Probe in anderen Bussen: Die Fälle liegen ähnlich, manchmal wurde Geld angeboten (zwei bis fünf Mark), manchmal wurde allein mit der Entlassung gedroht. Gegendemonstrationen, wie sie von den Organisationen der Armenviertelbewohner geplant waren, gab es nicht. Einmal ging eine Rauchwolke hoch, aber das störte den Aufmarsch nicht. Die Opposition wollte ursprünglich ihre Stärke am 25. September demonstrieren. Die „Asamblea de la Civilidad“, das umfassende Bündnis oppositioneller Berufsverbände, das durch den Streik am 2. und 3. Juli bekannt wurde, hatte dazu aufgerufen. „Diese Demonstration wird am selben Ort und unter denselben Bedingungen stattfinden“, so die Erklärung vom 1. September, „wie diejenige zur Unterstützung der Militärregierung. Das wird einen Vergleich ermöglichen.“ Aber zwischen dem 1. und dem 9. September hat sich in Chile sehr, sehr viel verändert.