Der Kanzler trat ab

■ Helmut Schmidts Abschiedsrede im Bundestag

Die große öffentliche Rede sollte geehrt werden. Es braucht nicht vergessen zu werden, daß der Macher am Ende nur Machterhaltungspolitiker war; es braucht nicht vergessen zu werden, daß Schmidt in der Zeit der RAF–Verfolgung der politische Organisator des terroristischen Staates war - seine Abschiedsrede vertrat eine Sache so machtvoll, daß ihr Fehlen schmerzlich wahrnehmbar wurde: die „Leidenschaft zur praktischen Vernunft“. Schmidts Rede öffnete keine Perspektiven, aber sie war eine Lektion des politischen Spielraums. Er kritisierte die Regierung Kohl weniger, er wog sie - und der bequemliche Verweser „seines“ Amtes fand sich unversehens auf der Schulbank wieder. Angesichts einer Regierungsbank, auf der nach dem Schwergewicht des einfachsten Weges die Politik entlangrutscht, verkörpert er Autorität. Eine Autorität, nicht der schwadronierenden Amtsmacht, sondern eine Autorität, die sich aus der fragilen deutschen Lage rechtfertigt. Schmidt bleibt der Politiker des Gleichgewichts, der in purer Vasallentreue den Anfang der Krise sieht. Seine Ethik politischer Gemeinsamkeit entspringt der erkannten Fähigkeit zum Unheil dieser Nation. Wie aufdringlich matt dagegen Raus Reden von der „nationalen Anstrengung“. Überhaupt ging Schmidt mit seiner Partei ins Gericht, indem er überaus auffällig vom Nürnberger Parteitag schwieg. Schmidts Rede beendete eine Ära, noch einmal verkörperte er das Bedürfnis der Mehrheit nach Sicherheit und Offenheit zugleich. Bleiben die Chargen der Apokalypse, die Rechthaber, die populistischen Taktiker und die überalterten Verwalter der Macht? Eine neue Zeit ist angebrochen, von der soviel fest steht, daß ernsthafte Gegner selten sein werden. Klaus Hartung