Äthiopien wird Volksrepublik

■ Die Militärs geben sich eine Verfassung / Realer Sozialismus in Afrika

In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abbeba wird der Militärputsch von 1974 heute erstmals durch eine Verfassung institutionalisiert. Auf leisen Druck der Sowjetunion haben die Militärs beschlossen, fortan einem „Staat der Werktätigen“ vorzustehen. Entgegen den Hoffnungen auf eine politische Lösung der Nationalitätenfrage entpuppt sich die neue Konstitution als Propaganda–Coup. Die Macht bleibt nach Art einer Präsidialdiktatur beim bisherigen Vorsitzenden des Militärrates, Mengistu.

Äthiopiens alter und neuer Chef Mengistu Foto: taz–Archiv Eine maßgeschneiderte Verfassung wird Äthiopien am heutigen Revolutionsfeiertag zur „Demokratischen Volksrepublik“ befördern und die zwölfjährige Herrschaft der Militärs formell beenden. Damit hat das Regime dem langjährigen Druck seiner sowjetischen Verbündeten Folge geleistet. Diese drängten darauf, die „fortschrittliche Orientierung Äthiopiens“ durch zivile Strukturen, eine marxistisch–leninistische Partei und einen entsprechenden „Staat sozialistischer Orientierung“ abzusichern. Die Militärs knüpfen ihrerseits an den Aufbau der Volksrepublik die Hoffnung, das Regime plebiszitär zu legitimieren. Die Volksrepublik soll ein „Staat der Werktätigen auf der Basis der Arbeiter–Bauern–Allianz“ sein, wo getreu den historischen Vorbildern die Macht dem arbeitenden Volk gehört. Dieses zerfällt in eine winzige Arbeiterklasse und 85 Prozent Bauern und Nomaden. Die Arbeiter als „revolutionäre Avantgardeklasse“ haben seit Jahren Mühe, Jobs zu finden und können auch im Glücksfall mit den erhaltenen Löhnen kaum das Lebensnotwendige bezahlen. Bauern und Nomaden befinden sich immer noch am Rande des Hungers und werden gegenwärtig durch die Umsiedlungen und Dorfgründungen der volksrepublikanischen Organe vom „rückständigen Status“ des Kleinbauern zum lohnabhängigen Landarbeiter im sozialistischen Kollektiv befördert, wobei der Einfachheit halber Nahrungsmittel statt Löhne verteilt werden. Diese und andere Widrigkeiten empfehlen die Präambeln der Verfassung zu übersehen, insofern sich Äthiopien erst im „Übergang zum Sozialismus“ befinde. 1985 ist viel Tinte verschleudert worden über angebliche Pläne der äthiopischen Regierung, mit der neuen Verfassung auch tiefgreifende Pläne zur Lösung der Nationalitätenfrage vorzulegen. Nun aber hat der Berg eine Maus geboren. Die Volksrepublik wird in Artikel 60 als „Einheitsstaat“ definiert, welcher neben „administrativen Regionen“ nun auch in „autonome Regionen“ unterteilt wird. Die Ausführung wird der Gesetzgebung zugeschoben, erhält also keine Verfassungskraft, und zwar wohl nicht zuletzt deswegen, weil über die Einrichtung „autonomer Regionen“ immer noch gestritten wird. Allerdings hält Art. 2 fest, daß die Nationalitäten „gleich“ und dem Kampf gegen „Chauvinismus“ und „engstirnigen Nationalismus“ verpflichtet sind. Im gleichen Artikel wird festgehalten, daß die Volksrepublik besonders die „unterprivilegierten Nationalitäten“ fördern möchte, was zusammen mit dem Wenigen, was wir über die anhaltenden Auseinandersetzungen wissen, etwa folgendes Bild der zukünftigen Nationalitätenpolitik ergibt: Die Staatsführung wird kleinen ethnischen Gruppen das Recht zur Bildung autonomer Regionen gewähren, die großen Völker der Oromo, Amharen und Tigray hingegen in mehrere administrative Regionen aufspalten und durch fortgesetzte Umsiedlungen untereinander kulturell vermischen. So wird die Regierung beispielsweise eine autonome Afar– Region installieren, welche Teile Eritreas, Tigrays und Wollos umfassen wird. Die Afar, die sich durch die territorialen Forderungen der eritreischen und Tigray– Befreiungsbewegungen in ihrer Identität bedroht fühlen, dürften eine solche autonome Region in jedem Fall befürworten, auch wenn sonst ihre Loyalität zur Regierung keineswegs gesichert ist. Die äthiopische Regierung darf aber hoffen, dadurch Konflikte, auch bewaffnete, zwischen den Afar und den Befreiungsbewegungen Nordäthiopiens schüren zu können. Diese Nationalitätenpolitik ist nur eine weitere Spielart von „tribal policy“, wie sie in Afrika seit der Kolonialära zur Herrschaftssicherung betrieben wird. Abgesehen davon enthält das Versprechen auf Autonomie wenig Substanz. Die Verfassung hält vorsorglich fest, daß alle Staatsorgane, auch die der autonomen Regionen, auf der Grundlage des „demokratischen Zentralismus“ (Art. 4) funktionieren müssen. Zudem erhält einzig die amharische Sprache den Rang einer Amtssprache. Eine Präsidialdiktatur Auf der Grundlage des allgemeinen und geheimen Wahlrechts werden die werktätigen Massen Äthiopiens ihre Staatsorgane bestellen. Allen voran die Nationalversammlung, eine Art Parlament, welches einmal im Jahr zur (nachträglich sanktionierenden) Verabschiedung der Gesetze und Dekrete zusammentritt. Gewählt werden dürfen alle Männer und Frauen, sofern sie von der Äthiopischen Arbeiterpartei, einer der Massenorganisationen oder von Armee–Einheiten vorgeschlagen werden, was in der Praxis auf das Vorschlagsmonopol der Partei hinausläuft, deren Zellen in allen Massenorganisationen und Armee–Einheiten vorhanden sind. Von allen afrikanischen Einheitsparteien, auch den sogenannten Avantgardeparteien, ist dabei die äthiopische die monolithischste, deren Mitglieder unter Androhung von Repression lediglich den Diskurs der Parteiführung buchstabengetreu exekutieren dürfen. Da das Parlament meistens in den Ferien weilt, besorgt ein Staatsrat übers Jahr seine Geschäfte. Dessen Präsident ist auch der Präsident der Republik. Ihm fallen sämtliche Kompetenzen zu, die dem Parlament bzw. dem Staatsrat zukommen, so daß die drei Organe in Zukunft höllisch aufpassen müssen, einander nicht ins Gehege zu kommen. Elite des Landes Die politische Elite Äthiopiens, sofern sie nicht in der Guerilla kämpft, zerfällt heute in drei Gruppen: l. die Exputschisten und sämtliche Armeeoffiziere, die in ihrem Sog politisch als getreue Gefolgsleute promoviert worden sind; 2. die schmale zivile Schicht von Überlebenden des äthiopischen Marxismus der 70er Jahre sowie tausender junger Kader, die die Parteischulen absolviert ha ben; und 3. das träge Überbleibsel des Kaiserreichs - nämlich die oft besser ausgebildeten, politisch opportunistischen Technokraten der Staatsverwaltung. Das Reizvolle am Aufbau der neuen Staatsorgane ist nun, daß für sie alle eine geeignete verfassungsmäßige Nische geschaffen worden ist. Staatschef Mengistu ließ sich alle Vollmachten eines Präsidialdiktators zuschreiben, während seine Kollegen vom „provisorischen Militärverwaltungsrat“ (PMAC) wohl die hohen Sessel des Staatsrats besetzen werden. Die Verwaltungsbürokraten hingegen können im besten Fall in einen Ministerrat vorrücken, der nominell die Regierung darstellt, aber keinerlei politische Leitungsbefugnisse hat. Es wäre falsch, aus der Kontinuität der Personen, die die neue Verfassung ermöglicht, eine Kontinuität der Militärdiktatur abzuleiten. Tatsächlich wird die Ausrufung der Volksrepublik und die darauf folgende Wahl ihrer Repräsentanten eine mehrjährige Übergangsphase abschließen, in welcher Mengistu und sein Team an der schwierigen Frage gearbeitet haben, wie einem künftigen Militärputsch zuvorzukommen sei. Denn das Hauptproblem alternder Militärdiktatoren liegt darin, daß die Loyalität der Armee mit der Zeit abnimmt. Seit 1979 hat es mehrere Putschversuche und Meutereien gegeben. Die Machthaber konzentrierten sich deshalb darauf, durch die Parteibildung politischen Eigeninitiativen der Armee zu untergraben. Heute besteht in jeder Einheit von 30 Mann und in jedem Stab eine Parteizelle aus mindestens drei Leuten, die regelmäßig über die Stimmung in ihrer Truppe, über auffällige soziale Beziehungen und Einzelpersonen an die höheren Instanzen berichtet. Die Zellen werden gemischt aus Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren zusammengesetzt, was zur Folge hat, daß die Befehlshierarchie der Armee teilweise gebrochen wird. Ein tiefergestellter Offizier, der zugleich die Partei verkörpert, kann sich unter Umständen gegen die Befehle seiner hierarchischen Vorgesetzten durchsetzen. Zudem ist allen Einheiten ein Kommissar der „politischen Hauptverwaltung der Armee“ zugeteilt, dessen Weisungsbefugnis weit über Fragen der politischen Indoktrination hinausgeht. Über den normalen Dienstweg einen Putsch anzuordnen, wie es derzeit in vielen Armeen Afrikas praktiziert wird, ist in Äthiopien möglich geworden. Es bliebe nur der Weg einer sorgfältig vorbereiteten Verschwörung. Daß die Ex–Militärdiktatoren dem sowjetischen Verlangen nach Parteiaufbau und Volksrepublik nachgegeben haben, zeigt ihre Hoffnung, mit den Instrumenten des ersten realsozialistischen Staates auf dem afrikanischen Kontinent die Kontrolle behalten zu können. Peter Niggli