„Recht normales Leben im Libanon“

■ Berlins Innensenator informierte sich über die Lage im Libanon / Abschiebungen zu erwarten / Libanesen als erste betroffen

Aus Beirut Petra Groll

Gemessen an den Umständen, so erklärten am Mittwoch kurz vor ihrer Rückkehr aus Beirut unisono der Berliner Innensenator Kewenig und sein Staatssekretär Möllenbrock gegenüber der taz (wie in unserer gestrigen Berlin–Ausgabe berichtet), könne man doch ein recht normales Leben im Libanon führen. Das in den bundesdeutschen Medien weitergegebene Bild entspreche in keiner Weise der Situation, die sie hier vorgefunden hätten. Wenn man in den vergangenen 48 Stunden nicht zufällig der amerikanische Direktor der „Libanesischen Internationalen Schule“ war oder der libanesische Direktor des „Lions Club“, die beide in Westbeirut gekidnapt wurden, wenn man nicht zufällig in den palästinensischen Flüchtlingslagern Ain–el–Helwe bei Saida oder Rasediyeh bei Sour im Südlibanon lebt, die beide am frühen Mittwochmorgen von israelischen Flugzeugen und Kanonenbooten angegriffen wurden, wenn man nicht zufällig an einer der traditionell umkämpften Fronten des seit zehn Jahren währenden Bürgerkriegs wohnt, an denen trotz offizieller Verhandlungen und Sicherheitspläne ständig Gefechte stattfinden, dann mögen die beiden Herren sogar ein wenig recht haben. Die beiden Westberliner Politiker hatten sich vier Tage lang vor allem im Großraum Beirut aufgehalten, um sich vor Ort Argumente für die Aufhebung des Abschiebestopps für Flüchtlinge aus dem Libanon zu holen. Auch die Gespräche mit zahlreichen Polit– (d.h. auch Militär– )Größen des Landes hätten erge ben, daß es derzeit keinen Grund gebe, Flüchtlingen aus dem Libanon politisches Asyl in der BRD zu gewähren, betonte Kewenig. Vielmehr hätten alle seine Gesprächspartner signalisiert, den westdeutschen Behörden bei der „Rückführung“ von derzeit 2.500 Menschen aus dem Libanon, die auf der Berliner Abschiebeliste stehen, entgegenzukommen; für ungefähr ein Fünftel dieser abzuschiebenden Personen sehe er kein Problem, erklärte Kewenig. Dies bedeutet, daß libanesische Staatsbürger als erste von den zu erwartenden Abschiebemaßnahmen betroffen sein werden. Bei den übrigen, annähernd 2.000 Flüchtlingen aus Libanon, deren Asylgesuche in Berlin abgelehnt worden sind, sehe die Lage etwas komplizierter aus, da sie, bevor sie den Libanon verlassen hätten, teil weise auch in jenem Land illegal gelebt hätten. Von der Aussicht, diese 2.000 vorwiegend palästinensischen Flüchtlinge aufzunehmen, seien seine libanesischen Gesprächspartner - vom Präsidenten der Republik, dem Christ Gemayel, über die Sicherheitspolizei, die für die Identitätspapiere der Flüchtlinge zuständig ist, bis hin zum Chef der Schiitenbewegung „Amal“ und Minister für den besetzten Südlibanon, Berri, - wahrlich nicht begeistert gewesen, jedoch sehe er die Situation nicht als hoffnungslos an. Der deutsche Botschafter im Libanon, Antonius Eitel, räumte immerhin ein, daß schließlich keine der libanesischen Parteien ein Interesse daran haben könnte, ihre Machtposition im Lande in irgendeiner Form zu schmälern. Tatsächlich läßt sich die Logik der allesamt nicht nur als Politiker, sondern auch als Kriegsherren denkenden libanesischen Führungspersönlichkeiten leicht darstellen: Willkommen ist nicht nur, was die Anzahl der eigenen - zahlenden wie kämpfenden - Mitglieder erhöht, sondern auch, was den Anteil der eigenen Bevölkerungsgruppe erhöht. Nicht unbedingt abwegig braucht auch eine Zustimmung der traditionell palästinenserfreundlichen Maroniten zur geplanten Abschiebungswelle aus Berlin zu sein. Seit über einem Jahr befinden sich die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon in blutiger Fehde mit der Schiitenbewegung „Amal“, die wiederum den Maroniten ihre Macht streitig zu machen suchen. Was die Kräfte des Gegners schwächt oder bindet, so mag man im maronitischen Lager denken, kann durchaus strategisch nützlich und somit willkommen sein. Auch Angehörige verschiedener palästinensischer Organisationen vertraten im Gespräch mit der taz keineswegs grundsätzlich entgegengesetzte Positionen. Sie wollten ihr Volk so nahe wie möglich an der besetzten Heimat wissen; bei zunehmender Zerstreuung der palästinensischen - gar in der gesamten westlichen Welt - sehen sie den Befreiungskampf gefährdet. Für einige ist die abermalige Flucht aus dem libanesischen Exil ins westliche Ausland gar Teil einer verschwörerischen Kampagne, die die Verhinderung des Kampfs für einen eigenen palästinensischen Staat zum Ziel hat. Kewenig und sein Begleiter wollten allerdings nichts davon wissen, daß mit Massenabschiebungen in den Libanon indirekt Kanonenfutter für jede beliebige Kriegspartei geliefert wird. So sei das nun mal in Krisengebieten, wichen sie kaltblütig aus und verschanzten sich, wie gewohnt, hinter der bundesdeutschen Rechtsprechung. Kewenig hatte in den vergangenen Tagen mehrfach öffentlich erklärt, er wolle sich bei der Bundesregierung für eine großzügigere Unterstützung Libanons einsetzen. Bei den Politikern jenes Landes muß diese Aussage wie Engelsgesang angekommen sein, denn die derzeit schwerwiegendsten Probleme des Landes liegen im wirtschaftlichen Bereich. Angesichts der verschwindend geringen Staatseinnahmen muß das Zedernland für jede müde Mark dankbar sein.