Jagdszenen in Niederbayern

■ Tränengasanschlag auf Flüchtlinge im niederbayerischen Ergolding / Bevölkerung schweigt / Polizei tappt im Dunkeln Eine Garage für 52 Asylsuchende / Unterbringungspraxis der Staatsregierung schürt die Ausländerfeindlichkeit

Aus Landshut Bernd Siegler

„Markt Ergolding - ein Besuch lohnt sich.“ Für die 52 Flüchtlinge aus Ghana und Indien, die vom Landratsamt Landshut in die 9.000 Einwohner zählende Gemeinde Ergolding einquartiert wurden, bewahrheitete sich die Aufschrift am Ortseingang nicht. Sie werden die Nacht zum vergangenen Sonntag so schnell nicht vergessen. Um ein Uhr wurden sie durch drei Schüsse aus einer Tränengaspistole aus dem Schlaf gerissen. Ein Unbekannter hatte durch die unverschlossene Türe in den Schlafsaal gefeuert und floh dann mit dem Auto. Sechs Inder erlitten so schwere Verletzungen, daß sie ins Krankenhaus transportiert werden mußten. Die Flüchtlinge, deren Odyssee sie nach dreiwöchigem Aufenthalt in Berlin und einer Woche in Zirndorf schließlich am 20. August in das vor den Toren Landshuts gelegene Ergolding geführt hatte, wollen jetzt nichts wie weg, egal wohin. Die Garage des landkreiseigenen Bauhofes sollte für die 52 sowieso nur eine vorübergehende Bleibe darstellen, betont CSU–Bürgermeister Hans Bauer. Von menschenwürdiger Unterkunft ist denn auch keine Rede. Der Betonfußboden ist notdürftig mit Holzlatten abgedeckt, es gibt lediglich eine Dusche für alle und keinerlei Heizmöglichkeit. „Wir haben Angst“ Der 26jährige Ghanese Kingsley Kwakye erklärt stellvertretend für alle: „Wir haben Angst, daß so etwas noch einmal passiert.“ Da bei hatte alles so gut angefangen. Anders als in den übrigen Gemeinden Niederbayerns gab es in Markt Ergolding, dessen wirtschaftliche Zukunft mit der BMW–Gießerei sichergestellt ist, kaum Widerstände gegen die Unterbringung der Flüchtlinge. Die Kirche engagierte sich, jeder Flüchtling erhielt ein Fahrrad, Kleidung und Essen wurden gesammelt. Den guten Empfang schreibt sich der Bürgermeister zu, der bei den letzten Kommunalwahlen 82 % der Stimmen einheimsen konnte. „Ich habe mich gegen jegliche Versuche der Stimmungs mache verwahrt.“ Auf die Nähe zur Stadt Landshut führt der Grüne Gemeinderat Jürgen Schott es zurück, daß die ausländerfeinliche Kampagne der CSU hier nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Er spricht damit die Unterbringungspolitik der bayerischen Staatsregierung an. Mit der Strategie der CSU: „Je kleiner die Gemeinde, desto mehr Flüchtlinge“ wird der Boden für eine zunehmende Ausländerfeindlichkeit bereitet. Erklärtes Ziel der CSU ist es, so deren Generalsekretär Gerold Tandler, mit dem Thema Asylrecht die Kernenergie als Haupt wahlkampfthema zu verdrängen. Tandler: „Das Asylrecht bringt uns 60 %.“ 200 Flüchtlinge für 180–Seelendorf Das Paradebeispiel bayerischer Unterbringungspolitik liegt nur knapp 30 km von Landshut entfernt. Während die 55.000 Einwohner zählende Stadt Landshut erst seit Juli letzten Jahres 186 Flüchtlingen Quartier bot, waren in dem 180 Seelendorf Johannesbrunn 200 Flüchtlinge untergebracht. Unmut, Aggressionen und Ausländerfeindlichkeit ließen nicht lange auf sich warten. „Wir wollen unser Dorf wiederhaben“, lautete die Bürgerforderung. Die für die Verteilung damals zuständige Regierung von Niederbayern schaute dem Treiben lange zu. Erst vor wenigen Monaten begann man die Zahl der Flüchtlinge in Johannesbrunn auf derzeit 100 zu reduzieren. „Wir haben keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten gefunden“, erklärt achselzuckend Pressesprecher Walter Czapka. In Niederbayern, das 10 % des bayerischen Kontingents aufnehmen muß, „wohnen“ derzeit 1.820 Flüchtlinge in 19 Unterkünften. Seit Mitte August hat der Bezirk Niederbayern die Aufgabe der Unterbringung von Asylbewerbern mit sofortiger Wirkung auf die Kreisverwaltungsbehörden, also an die Landratsämter und Städte, übertragen. So sollten die 52 Flüchtlinge, die schließlich in Ergolding gelandet sind, zuvor in die Turnhalle der 10.000 Einwohner zählenden Stadt Rottenburg einquartiert werden. Die dortige Kampagne gegen die Ghanesen und Inder, angeführt vom Stellvertretenden Bürgermeister, hatte Erfolg. Der Stadtrat sagte nein. Die Besitzerin einer Keramikwerkstatt, die ihr Haus an den Bezirk für die Unterbringung von Flüchtlingen vermieten wollte, wurde von der Stadt so unter Druck gesetzt, daß sie ihr Angebot zurückzog. Mitte August schließlich zogen 70 Jugendliche hinter dem Plakat „Keine Asylanten in Rottenburg zur“ Turnhalle. Initiatorin der Kundgebung war die 17jährige Schülerin Claudia Hutzler: „Ich bin dagegen, daß den Deutschen staatliche Leistungen gekürzt werden, bei den Ausländern jedoch nicht. Außerdem ist die Sicherheit der Frauen bedroht.“ „Die Saat der Ausländerfeindlichkeit geht auf“, stellt der bayerische SPD–Vorsitzende Schöfberger nach dem Tränengasanschlag fest. Daß gerade in Ergolding so etwas passiert, hatte alle Beteiligten überrascht. Während die Landshuter Polizei noch im Dunkeln tappt, sind in Ergolding selbst Reaktionen auf den Anschlag Mangelware. Bürgermeister Bauer hat noch keine erhalten. Die Tankstellenbesitzerin in Ergolding meinte: „Das hätte es nicht gebraucht, hoffentlich erwischens den.“ Was es gebraucht hätte, darüber schweigt auch sie sich aus. Andere scheinen da redseliger zu sein. Erste Reaktion eines Jugendlichen nach dem Anschlag: „Schade, daß der nicht scharf geladen hatte.“