Abschiebung in den „normalen“ Krieg

■ Nach dreitägigem Kurzaufenthalt im Libanon erklärt Berlins Innensenator Kewenig Abschiebungen von libanesischen Flüchtlingen für unproblematisch

Aus Berlin Mechthild Küpper

Zwar habe er „kein befriedetes und glückliches Land“ vorgefunden, doch könnten die einzelnen verfeindeten Gruppen in den von ihnen kontrollierten Gebieten „weithin normal“ leben. Das erklärte gestern Berlins Innensenator Kewenig nach einem dreitägigen Kurztrip in den Libanon vor dem Ausländerausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses. Begleitet von seinem Staatssekretär Möllenbrock, hatte sich Kewenig vor allem im Großraum Beirut aufgehalten, um vor Ort „Argumente“ und politische Schützenhilfe für die Aufhebung des Abschiebestopps für Flüchtlinge aus dem Libanon zu sammeln. Seine Gespräche mit Vertretern der verfeindeten Gruppen - Kewenig hatte mit zahlreichen Polit– und Militärgrößen im Libanon verhandelt - hätten ergeben, daß es keinen Grund gebe, Flüchtlingen aus dem Libanon politisches Asyl in der BRD zu gewähren. Darin sei er sich mit seinen Gesprächspartnern einig gewesen. „Keine Frage“, faßte der Senator das Ergebnis seiner Kurzreise zusammen, „daß die Situation im Libanon Abschiebungen zuläßt.“ Von dem sich abzeichnenden Kurswechsel des Berliner Senats, nach mehrjähriger Pause wieder Abschiebungen in den Libanon durchzuführen, wären zunächst 367 Libanesen und darüber hinaus 1.258 staatenlose Palästinenser betroffen, deren Asylanträge bereits abgelehnt worden sind. Das Verhandlungsergebnis seiner Reise beschrieb der Innensenator nur vage. Zwar habe er mit den libanesischen Behörden eine Übereinkunft erzielt, daß man über abzuschiebende Libanesen stärker als zuvor korrespondieren werde und sie Pässe ausgestellt bekämen. Doch was die Menge der in Berlin lebenden Libanon–Flüchtlinge betrifft, werde man „den Einzelfall“ prüfen und sorgen, „daß eine bestimmte Personenzahl gültige Pässe bekommt“. Kewenig fand, daß er damit „erstaunlich weit“ gekommen war. Seinem Reisebericht vorausgeschickt hatte er ein Bekenntnis: Er sei im Libanon gewesen, um „das liberale Asyl– und Ausländerrecht nach Möglichkeit zu erhalten und zu verteidigen“, nicht um dort oder hier „den starken Mann zu markieren“. Zur Verteidigung gehöre auch, daß man auch die negativen Seiten des Rechts anwende und nach abgelehnten Asylanträgen eben abschiebe. Fortsetzung auf Seite 2 Bericht aus Beirut auf Seite 7 Der Koalitionspartner FDP im Berliner Senat begrüßte das Bekenntnis zur liberalen Asylpolitik, wandte aber ein, daß ihm Fernsehbilder aus dem Beiruter Palästinenserlager Shatila keineswegs „normal“ vorgekommen seien, und daß für den im Juni 1985 beschlossenen Abschiebestop für den Libanon die Aussage des Auswärtigen Amtes ausschlaggebend gewesen sei, das Land befinde sich „im blutigen Bürgerkrieg“. Die Fraktionsvorsitzende der Berliner Alternativen Liste (AL) Bischoff–Pflanz befand, die Reise habe „nichts geändert“: Korrespondenz um Pässe für Libanesen und Palästinenser habe es immer schon gegeben, während der CDU–Vertreter glaubte, es sei doch besser gewesen, wenn der Ausschuß den Senator begleitet hätte. Die Berliner SPD beurteilte die Kewenig–Reise als überflüssig. Wenn es darum ginge, den Abschiebestop aufzuheben, hätte man prüfen müssen, ob die Voraussetzungen, unter denen er damals beschlossen wurde, noch zuträfen. Wenn Kewenig drei Tage lang Ruhe im Libanon erlebt habe, beweise das nichts und könne vor allem nicht garantieren, daß Abgeschobene für einen überschaubaren Zeitraum dort Sicherheit für Leib und Leben fänden. Kewenig habe nur „Meinungen, keine Tatsachen“ berichtet, und im übrigen seien Abschiebungen nicht die „Kehrseite eines liberalen Asylrechts, sondern Teil des deutschen Ausländerrechts“, das als liberal zu bezeichnen bislang niemandem eingefallen sei. Nichts von dem, was Kewenig erzählt habe, tangiere das, was das Parlament zum Abschiebestopp bewegt habe. Auch die AL fühlte sich wie in einer „Märchenstunde“. Kewenig, der nicht an den Beschluß, niemanden in den Libanon abzuschieben gebunden ist, zeigte sich konziliant: Er wolle zunächst die Stellungnahme des Auswärtigen Amts abwarten und mit allen politischen Parteien diskutieren, um dann zu einer „vernünftigen Linie einer liberalen Asyl– und Ausländerpolitik“ zu gelangen.