„Der Embryo kann nicht gefragt werden“

■ Der 56. Deutsche Juristentag diskutierte drei Tage lang über die Zulässigkeit und Folgen künstlicher Reproduktionstechniken / Künstliche Besamung und In–vitro–Befruchtung befürwortet / Forschung an Embryonen soll verboten werden / Was tun mit überflüssigen Embryonen?

Aus Berlin Manfred Kriener

Nach Schätzungen der Statistiker gibt es gegenwärtig in der BRD 300.000 - 500.000 Ehen, die ungewollt kinderlos, also unfruchtbar sind. 17.600 Frauen stehen europaweit auf der Warteliste, um ihre Unfruchtbarkeit durch eine In–vitro–Fertilisation (künstliche Befruchtung außerhalb des Mutterleibs) zu beenden. Ob dieser unbedingte Kinderwunsch „neurotisch überhöht“ ist, wie manche Kritiker meinen, oder Ausdruck einer überkommenen biologistischen Auffassung, die Sinn und Erfüllung einer Ehe vorrangig in der Fortpflanzung sieht, dieser Aspekt wurde auf dem 56. Deutschen Juristentag in Berlin kaum diskutiert. Die Teilnehmer des Juristentages sahen ihre Aufgabe vor allem darin, den ethisch–moralischen Rahmen für die verschiedenen künstlichen Reproduktionstechniken abzustecken. Was ist „sittenwidrig“, was steht „im Einklang mit der Würde des Menschen“. Die Würde von Frau, Mann, Gesellschaft, Kind oder gar Embryo wurde im klotzigen Kongreßzentrum so häufig strapaziert, daß sich gleich mehrere Redner/innen gegen diese moralische Überfrachtung wandten. Die Diskussion hatte sich zuvor an vier Punkten festgebissen: - Dürfen die Samenspender anonym bleiben? - Kommt die künstliche Befruchtung auch für nicht verheiratete Paare und alleinstehende Frauen in Frage? - Ist eine Leih– und Tragemutterschaft zulässig? - Dürfen künstlich erzeugte Embryonen für Forschungszwecke verwendet werden? Die in der Abstimmung mehrheitlich befürwortete Aufhebung der Anonymität des Samenspenders war mehrfach als Ende der „hetereologen Insemination“ (künstliche Besamung einer Frau mit einem anderen Samen als dem des Partners) kritisiert worden, als heimliches Verbot. Welcher Mann werde seinen Samen noch abgeben, wenn er damit rechnen muß, vielleicht irgendwann von „seinem“ durch die Spende gezeugten Kind Besuch zu erhalten (“Hallo Papi!“). Die Befürworter der Anonymität wollten die absolute Gleichstellung eines künstlich erzeugten Kindes mit dem aus natürlicher Zeugung. Der „Ab kömmling“ solle mit keinem Makel behaftet werden und vor allem dürfe beim Kind kein Zweifel entstehen, daß der Partner der Mutter auch der Vater sei. Die Gegner der Anonymität rügten dies als Verdunkelung und Verschleierung der genetischen Herkunft eines Kindes, das ein Recht darauf habe, zu erfahren, von wem es abstamme, auch inzestuöse Gefahren wurden für den Fall der Anonymität beschworen. Ob die sozialen Eltern ihr Kind in einer neuen Form der Aufklärung über seine Herkunft informieren sollen, oder ob die Identität von Amts wegen durch ein Einschreiben zum 16. Geburtstag des Kindes - wie die Juristen vorschlagen - gelüftet wird, auch dies wird ein Gesetz regeln müssen. Die Surrogatmutter Welches ist die richtige Bezeichnung für eine Frau, die im Auftrag einer anderen Frau ein Kind austrägt: Ammen–, Miet–, Leih–, Trage–, Auftrags– Ersatz–, Surrogat– oder biologische Mutter? Das Begriffswirrwarr zeigt schon die Unsicherheit auf diesem Gebiet, das im Laufe der Diskussionen noch eine ganze Reihe absurder Sprachschöpfungen gebar. Was sind z.B. „Akzeptanzprobleme“ einer Sozialmutter? Erklärung: Ihr Erschrecken, wenn „ihr“ von der Leihmutter geborenes Kind behindert ist oder einfach nicht ihrem Geschmack entspricht. Und was hat das „Sachmängelrecht“ mit dieser Frage zu schaffen? Es ist gefordert, wenn, wie in den USA geschehen, eine Familie Schadensersatz verlangt, weil das von der Leihmutter geborene Kind mongoloid ist. Befruchtungstourismus Ähnlich wie bei der hetereologen Insemination sehen die Deutschen Juristen auch bei der Leihmutterschaft die Schwierigkeit, ein Verbot durchzusetzen und einen Verstoß nachzuweisen. Bei einem Verbot der hetereologen Insemination wurde ein „Befruchtungstourismus“ in Länder mit bequemen Gesetzen prophezeit, bei einem Verbot der Leihmutterschaft ein Schwarzmarkt und die Vortäuschung von Adoptionen. Über allem aber stand die Angst vor einem „Handel mit Kindern“ und das Schreckgespenst des schnieken Mannequins, das sich eine Ammenmutter hält, um ihren eigenen Körper nicht durch eine Schwangerschaft zu ruinieren. Die Ammen wiederum könnten zu Gebärmaschinen funktionalisiert werden, die aus wirtschaftlicher Not heraus ihren Körper meistbietend vermieten. Der Juristentag unterschied in seinem Votum zwischen der Tragemutterschaft und Ersatzmutterschaft. Bei letzterer wird der Leihmutter nur der Samen inseminiert, sie bleibt also die „normale“, biologische Mutter, während bei der Tragemutter auch die Eizelle von einer anderen Frau stammt, künstlich befruchtet und dann in ihre Gebärmutter implantiert wird. Die Tragemutterschaft wurde vom Juristentag abgelehnt, die Ersatzmutterschaft befürwortet. Kritiker sehen in beiden Fällen die Gefahr einer Schädigung für das Kind. Die natürliche Mutter– Kind–Bindung werde mit der Übergabe des Säuglings gesprengt und während der Schwangerschaft könnten bei der „Amme“ keine echten Muttergefühle entstehen, was die psychi sche Entwicklung des Ungeborenen beeinträchtigen könnte. Ehe– und „stabile“ Paare Entgegen allen Moralappellen mehrerer Referenten, die künstliche Befruchtung „zum Wohle des Kindes“ auschließlich auf Ehe und Familie zu begrenzen, emanzipierte sich die Mehrheit der Teilnehmer von solchen Vorstellun gen und bejahte die künstliche Befruchtung in einer Grundsatzentscheidung auch für Nichtverheiratete in einer „stabilen, nichtehelichen Lebensgemeinschaft“ Doch wer klärt, ob eine Partnerschaft stabil ist? Eine Ethik–Kommission als Wachhund und Entscheidungsinstanz, die aus Medizinern, Theologen (!) und Juristen zusammengesetzt ist, wurde zwar vorgeschlagen, aber mehrheitlich zurückgewiesen. Eine „psychosomatische Indikation“, bei der die Frage intakter Verhältnisse und die Ernsthaftigkeit des Kinderwunsches untersucht werden sollen, muß allerdings nach den Vorstellungen der Juristen jedes Paar über sich ergehen lassen. Nur äußerst knapp (60:69) scheiterte der Antrag, „ledigen Frauen ohne Geschlechtspartner“ die künstliche Erzeugung eines Kindes zu ermöglichen. So wie jede Frau das Recht habe, sich einen Partner für eine Nacht zu suchen, um sich einen Kinderwunsch zu erfüllen, müsse sie auch Zugang zu den Reproduktionstechniken erhalten, alles andere sei Ausdruck einer doppelten Moral. Dem wurde die Vaterlosigkeit als Schaden für das Kind entgegengehalten, der programmierte Halbwaise kritisiert. Überflüssige Embryos Emotionalster Schwerpunkt der Diskussion war die „verbrauchende Embryonenforschung“. Da bei der In–vitro–Fertilisation von der Frau mehrere Ei–Follikel abgesaugt und mit dem Spendersamen befruchtet werden, entstehen zwangsläufig „überflüssige“ Embryonen, die in der Tiefkühlbox fast unbegrenzt lange „haltbar“ sind. Sollen sie „der Forschung einen letzten Dienst erweisen“ und für „hochrangige wissenschaftliche Forschungszwecke“ Verwendung finden? „Der Embryo kann nicht gefragt werden“, bemerkte folgerichtig der Berliner Rechtswissenschaftler Prof. Gießen. Entgegen den Beschlüssen der Ärztekammer blieb der Juristentag in seinem Beschluß dann auf einer restriktiven Linie. Eine Forschung an Embryonen wurde grundsätzlich abgelehnt. Der mit Blick auf die deutsche Euthanasie–Vergangenheit explizit geforderte Zusatz, daß „auch Embryonen, die auf eine Behinderung oder Erbkrankheit hindeuten, schutzwürdig sind“, wurde als nicht erforderlich abgelehnt. An dem vierstündigen Abstimmungsmarathon hatten sich 150 Juristen beteiligt. Nur ein einziger lehnte die künstliche Befruchtung grundsätzlich ab. Die Beschlüsse gehen als Empfehlungen nach Bonn.